Wenn man in einer globalisierten und komplexen Welt an einem wichtigen Faden zieht, kann man nie sicher sein, was sich dann am anderen Ende der Welt, aber auch direkt vor der eigenen Nase, alles in Bewegung setzt. Donald Trumps „Zoll-Strategie“ tut genau das. Die Folgen sind unabsehbar: Sie könnten sich im Rahmen halten und womöglich Trumps Ziele erreichen. Oder die Sache kann völlig aus dem Ruder laufen. Wo liegen die Risiken?
So, wie sich US-Präsident Trump die Sache vorstellt, ist sie ebenso einfach wie effektiv. Er hebt die Einfuhrzölle für ausländische Waren an, um a) dadurch ein Druckmittel zu haben, um die betroffenen Länder dazu zu bringen, mehr US-Waren zu importieren und/oder ihre Einfuhrzölle für US-Güter zu senken oder zu eliminieren. Zugleich füllt das b) die US-Staatskasse und ermöglicht es, aufgrund der daraus erzielten Einnahmen andere Dinge zu finanzieren, medial propagiert werden da natürlich vor allem Steuersenkungen. Und c) drängt er dadurch unerwünschte ausländische Produkte vom US-Markt und protegiert die heimische Wirtschaft, was den Unternehmen mehr Gewinn, den Bürgern mehr Jobs und zugleich höhere Löhne bringen soll.
Das Dumme ist nur, dass es so einfach eben nicht ist. Denn Mr. Trump sieht oder proklamiert nur die Vorteile, nicht die Fallsticke mit drastisch negativen Konsequenzen. Ob er die nicht sehen kann oder nicht sehen will, sei mal dahingestellt. Aber wer sollte ihn davon abbringen, obige Vorteile als alleine relevant zu sehen? Seine Berater? Davon mal abgesehen, dass Donald Trump erfahrungsgemäss keiner ist, der Widerspruch oder auch nur ein „aber“ hören mag, zeichnen sich seine Berater bislang nur dadurch aus, dass sie mit ihm völlig einer Meinung sind und Kompetenz und Weitblick ihres Chefs preisen.
Man täte also gut daran, nicht damit zu rechnen, dass der Kurs korrigiert wird, wenn er in den Graben führt. Um mal einen Anhalt zu bekommen, wie leicht ein solches Gezupfe am Netz der Weltwirtschaft schiefgehen kann, muss man nicht weit in der Geschichte zurückgehen:
Materialengpässe, Inflation, Lieferketten-Chaos … nur wegen der Lockdowns.
Im Nachhinein könnte man behaupten, das, was als Folge der Corona-Lockdowns passierte, sei absehbar gewesen, weil es eine Kette in sich schlüssiger Ereignisse und Folgen war. Doch wieso hatte das dann niemand genau so vorhergesagt? Weil jede dieser Entwicklungen kommen konnte, aber nie musste und aus Entwicklungen heraus entstand, die ebenfalls so kommen konnten, aber nicht mussten. Blicken wir zurück:
Als man das öffentliche Leben und mit ihm die Produktion einfror, hatte man weltweit vor allem den Schutz der Menschen im Blick. Was die Wirtschaft anging, dachte man sich, im ersten Moment ja auch scheinbar logisch: Wenn da für ein paar Wochen die Bänder stillstehen, holt man das halt später einfach mit ein paar Zusatzschichten wieder auf. Erst mit der Zeit wurde klar, dass man mit Zitronen gehandelt hatte, weil diese Lockdowns einen Nachfrageüberhang auslösten und, vor allem, weil sie nicht überall zugleich stattfanden.

Das führte dazu, dass in einigen Regionen zwar die Produktion lief, aber die nötigen Zulieferteile ausblieben, weil die in Zonen hergestellt wurden, in denen gerade Lockdown war und daher nichts herauskam. Oder es gab zwar Teile, die kamen aber nicht an, weil am Versandort, Zielort oder unterwegs Flughäfen oder Häfen dicht waren. Oder die Teile wurden zwar hergestellt und verschickt, konnten aber nicht verbaut werden, weil die Fabrik in einer Lockdown-Zone lag. Was dann zu Stornierungen führte, die später einen Nachfrageüberhang auslösten, die die Fabrik, die am einen Ende der Welt stillstand, weil ein Kunde am anderen Ende der Welt gerade nicht produzieren konnte, dann nicht so schnell aufholen konnte. Und dass die Lockdowns in China viel radikaler waren und länger dauerten als in Europa und den USA, machte die Sache noch komplizierter.
Und selbst wenn ein Unternehmen einigermassen in der Spur blieb, fehlte es an Frachtraum, denn natürlich ist der in etwa so dimensioniert, dass er dem normalen Bedarf entspricht. Passiert zuerst eine Zeit lang gar nichts und soll dann auf einmal ruckzuck das Doppelte quer um den Globus transportiert werden, geht das halt schief. Und das war ja nur der erste Schritt der Probleme.
Weil die Verbraucher nach den Lockdown-Phasen wieder vor Ort kaufen konnten und wollten, war die Nachfrage, vorher weggebrochen, auf einmal immens. Aber es war eben wegen vorgenannter Entwicklungen nicht alles verfügbar, erst recht nicht in den grösseren Mengen. Und so schlitterten die USA und Europa in die Inflation. Das chaotische Gewurstel bei Produktion und Transport hatte ohnehin schon die Produktions- und Frachtkosten nach oben katapultiert, jetzt gingen die Verkaufspreise über die gestiegenen Kosten hinaus noch höher, weil die Verkäufer natürlich wussten: Ist die Nachfrage gross, das Angebot aber klein, kann man fein die Preise anheben, denn wenn etwas knapp ist, zahlen manche eben problemlos viel mehr dafür.

Das wiederum führte zu steigenden Zinsen als Versuch, die Inflation herunterzubekommen. Da man aber wusste, dass Geld auf Pump dadurch erst einmal immer teurer wird, kauften viele zu den gestiegenen Preisen vor, um nicht zu teureren Kreditzinsen und noch höheren Preisen kaufen zu müssen … was aber die Preise erst recht höher trieb. Und wodurch jetzt, während die Zinsen sinken, die Nachfrage dennoch nicht grossartig durchstartet, weil so viele bereits Anschaffungen auf Jahre hinaus vorgezogen hatten. Und bei dieser Gemengelage sind externe Faktoren wie der Ukraine-Konflikt noch nicht einmal mit drin. Sie sehen:
Welche negativen Effekte sind bereits jetzt klar absehbar?
Etwas, das im ersten Moment kontrollierbar wirkt, kann, wenn eins zum anderen kommt, völlig aus dem Ruder laufen, ohne dass irgendwer im Vorfeld die Risiken wirklich genau benennen und bewerten könnte. Einfach, weil alles passieren könnte, aber nichts wirklich zwingend passieren muss. Und dieses Verhängen von US-Einfuhrzöllen gehört in genau diese Kategorie: Die Sache wirkt logisch und überschaubar, ist aber letzten Endes wie eine Wundertüte: Man weiss nicht, was dabei wirklich herauskommt. Wobei das im Fall von diesen Zöllen nur für die Nebenwirkungen derjenigen Nebenwirkungen gilt, die unmittelbar auf der Hand liegen. Denn die gibt es ja, nur werden sie im Weissen Haus einfach nicht kommuniziert. Die da wären?
1. Ein ganz unmittelbares Problem ist, dass die höheren Zölle ja primär von den US-Unternehmen gezahlt werden müssen, die die mit Strafzöllen belegten Waren einführen und anbieten. Was sie ja nicht tun, weil sie sonst nichts zu tun haben, sondern weil die Verbraucher diese Waren haben wollen. Damit stecken sie in der Zwickmühle. Führen sie sie trotzdem weiter ein und schlagen die höheren Zollkosten auf die Verkaufspreise drauf, kann es sein, dass diese Güter niemand mehr kauft. Importieren sie sie nicht mehr, kann es sein, dass die Kunden woanders hingehen, statt vom Importeur alternativ angebotene, heimische Produkte zu kaufen. Was übrigens auch für grosse Unternehmen im Einzelhandel zum Problem wird, weshalb Walmart offenbar chinesische Hersteller nötigen wollte, ihre Preise in der Grössenordnung der höheren Einfuhrzölle zu senken, damit die US-Handelskette selbst Verkaufspreise und Gewinnspannen halten kann. Was in China natürlich für Ärger sorgte.
2. Da dieses Hickhack absehbar war, weil Mr. Trump diese Zölle ja gross angekündigt hatte, kam es zu vergleichbaren Vorkaufswellen wie damals im Vorfeld des Hochs der Inflation nebst Zinserhöhungen ab Mitte 2022. Chinas Exporte sind im Januar und Februar drastisch gestiegen, die US-Importe ebenfalls. Die Importeure sahen zu, dass sie so viel wie möglich an Gütern, die man im Weissen Haus ins Visier genommen hatte, vor Verhängung der Einfuhrzölle ins Land schafft. Damit bestehen jetzt grosse Vorräte, zugleich dürften sich auch viele Verbraucher frühzeitig mit Waren aus China, Kanada oder Mexiko, ggf. auch aus Europa eingedeckt haben, die man als Anschaffung vorziehen oder auf Vorrat kaufen kann. Was bedeutet: Kurzfristig stützt das den US-Konsum und kann dazu führen, dass viele glauben, die Trump-Zölle hätten ja gar keine negative Wirkung. Aber was heute vorgezogen gekauft wird, wird morgen und übermorgen eben nicht mehr gekauft … das Loch, in das die US-Wirtschaft fallen könnte, kommt mit Zeitverzögerung!

3. Die Preise werden steigen. Denn die US-Unternehmen, die auf einmal von der unliebsamen Konkurrenz befreit werden, weil deren Waren durch die Zölle teurer werden als die eigenen Produkte, dürften die Preise so weit wie möglich an das Konkurrenzlevel angleichen, will heissen: Was da dann weit unter dem Preis der Konkurrenz liegen würde, wird so weit teurer gemacht, dass man erwarten kann, dass die US-Verbraucher trotzdem dieses und nicht das künstlich durch Zölle verteuerte europäische oder chinesische Produkt nehmen. Dass Unternehmen das nicht tun, dass sie das Wohl der Verbraucher über das eigene Profitstreben stellen und die Preise auch da, wo man noch etwas herauskitzeln könnte, stabil halten … das zu erwarten ist naiv, weil es jeder Erfahrung widerspricht. Damit werden die Einfuhren teurer, die heimischen Produkte auch. Und dass die Unternehmen die Löhne proportional zu den Preisen anheben, auch das ist nicht zu erwarten.
4. Natürlich reagieren die betroffenen Länder und verhängen Gegenzölle oder verlangen, wie z.B. die kanadische Provinz Ontario bei der Lieferung von Strom in die USA, zusätzliche Gebühren. Letzteres trägt ebenso zu Inflationsdruck in den USA bei. Ersteres drückt auf die Verkaufszahlen der US-Unternehmen im Ausland. Was den Vorteil des Mehrabsatzes eigener Waren in den USA deutlich mindern wird, ggf. sogar komplett aufzehrt und ins Gegenteil verkehrt. Denn auch, wenn die USA weit mehr einführen als exportieren: Die „Angegriffenen“ und die Verbraucher dort reagieren oft sehr heftig auf derartige Aktivitäten, schliesslich weiss man ja, dass diese Zölle die eigenen Unternehmen aus den USA herausdrängen sollen, ohne Rücksicht auf die Arbeitsplätze in China, Europa, Kanada, Mexiko und anderswo. Das bringt leicht genug Verbraucher auf die Barrikaden, dass so manches US-Produkt zum Ladenhüter werden kann.
Das Wundertüten-Problem bei den Nebenwirkungen der Nebenwirkungen
Aber das sind nur die absehbaren Nebenwirkungen. Damit muss es keineswegs getan sein, weil eben eine Veränderung eine oder mehrere andere erst auslöst und damit erst erkennbar macht, wenn sie stattgefunden hat. Was mir dahingehend so einfallen würde:
Gerade werden in rauen Mengen Staatsbedienstete entlassen. Die man auch dann, wenn Trumps Idee, dass die Zölle in der US-Industrie neue Jobs kreieren würden, nicht einfach von eben auf gleich in qualifizierte Techniker verwandeln kann. Die Arbeitslosigkeit wird also zunehmen, auf der anderen Seite weiterhin spezialisierte Fachkräfte fehlen – was den inflationstreibenden Lohnanstieg hoch halten wird. Damit steigt die Zahl derer, die sich höhere Preise nicht leisten können. Und von denen gibt es in den USA ohnehin schon genug. Ein solcher Wandel kann funktionieren, wenn man ihn über Jahre vorantreibt. Donald Trump will aber alles sofort. Und das ist hochgefährlich.
Dass vor allem chinesische Produkte so beliebt sind, liegt daran, dass sie billiger und, anders als vor 20 oder 30 Jahren, deswegen nicht schlechter sind. Die vielen US-Bürger, die nicht zu den Wohlhabenden gehören, haben diese Güter nicht gekauft, weil sie keine Patrioten sind, sondern, weil ihr Budget heimische, teure Produkte nicht hergibt. Wenn die Importwaren jetzt durch Zölle künstlich verteuert werden und die heimischen Hersteller die Gelegenheit beim Schopf packen, um die eigenen ein wenig teurer zu machen, wird die Kostenbelastung für viele dramatisch sein … mit unabsehbaren Konsequenzen für die US-Wirtschaft.

Davon mal abgesehen werden ja auch die US-Hersteller durch die Zölle unter Druck gesetzt, denn die Welt ist nun einmal globalisiert. Die meisten Industriezweige brauchen Zulieferteile aus dem Ausland. Die jetzt durch Trumps Zölle teurer werden, nehmen wir da nur die flotten 25 Prozent obendrauf für Stahl und Aluminium. Nicht umsonst weist der Verband „Autos Drive America“ die US-Regierung jetzt darauf hin, dass diese Zölle auch die Produktion ausländischer und heimischer Autobauer im Land in die Bredouille bringen. So heisst es da: „Die Autohersteller können ihre Lieferketten nicht über Nacht umstellen, und Kostensteigerungen werden unweigerlich zu einer Kombination aus höheren Verbraucherpreisen, weniger angebotenen Modellen und der Schliessung von US-Produktionslinien führen, was zu einem möglichen Verlust von Arbeitsplätzen in der gesamten Lieferkette führen wird.”
Zwar hat Donald Trump als Lösung parat, dass er dann einfach die Steuern senkt, finanziert aus den Zolleinnahmen. Aber bislang findet sich keine taugliche Schätzung, die aussagen würde, dass das, was die Zölle einbringen (vor allem, wenn entsprechende Güter dann weniger eingeführt werden) ausreichen, um nennenswerte Steuersenkungen für alle zu bezahlen, kurz: Die Staatsverschuldung müsste steigen, die Zinsen bleiben oben, die Kredite bleiben teuer.
Dann erneut gegenzusteuern, indem man noch mehr Geld für Bildung, Soziales und Healthcare zusammenstreicht, hat wiederum Folgen für das Sozialgefüge in den USA, die völlig unvorhersehbar sind, aber zumindest eines liesse sich sicher sagen: Dass dann weniger mehr, zugleich aber mehr weniger haben, ist nicht gut.
Fazit: Die Büchse der Pandora ist offen
Hier wurde im Weissen Haus nur bis zu dem Punkt gedacht, der in der allerersten Ebene Vorteile ausweist. Was aus diesen Zöllen im weiteren Verlauf an Problemen und ggf. auch lange andauernden Spätfolgen entstehen kann, wird ignoriert. Wenn man an die Folgen der Lockdowns denkt, sollte klar sein, dass man im Weissen Haus gerade agiert wie Goethes Zauberlehrling mit seinem Besen:
Man glaubt, die Sache locker im Griff zu haben, dürfte sich dabei aber irren. Doch während Goethe zur Rettung den alten Zauberer auftreten und ihn die Sache ruckzuck korrigieren lässt, ist der in unserer Realität nicht in Sicht. Daher sollte man, nicht nur, aber auch in Sachen Zölle einkalkulieren, dass uns in nächster Zeit so manche unerwartete Entwicklung ins Haus steht, die die Börsen erheblich in Wallung bringt.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
Quellen:
Statement Autos Drive America; https://www.n-tv.de/wirtschaft/Angst-vor-Vergeltung-Tesla-meldet-Zweifel-an-US-Zoellen-an-article25628796.html?utm_source=firefox-newtab-de-de
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