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Weil die Inflationsrate hierzulande seit drei Monaten scheinbar nicht weiter zulegt, kommen die ersten daher und behaupten, dass der Zenit der Teuerung bereits überschritten sei. Was ist da dran? Können wir aufatmen?
Wenn man mit einem Rückgang der Jahresveränderung der Preise argumentiert, argumentiert man mit dem falschen Werkzeug, wollte man dadurch zeigen, ob sich die Inflation wirklich wieder nach unten bewegt. Entweder sind das dann also Taschenspielertricks oder diejenige Person, die einen Abstieg der deutschen Inflationsrate als potenzielle Wende propagiert, versteht nicht, wovon sie redet. Ja, wenn man sich diese Messgrösse zu Gemüte führt, siehe der folgende Chart, sieht man: In der Tat ist die Inflationsrate zurückgekommen. Aber bevor man das als gutes Zeichen ansieht, muss man verstehen, was da eigentlich berechnet wird.

Die allgemein gezeigte „Inflationsrate“ liefert kein korrektes Bild
Denn diese Inflationsrate liefert ein verzerrtes Bild. Auch, weil der zugrundeliegende Warenkorb, dessen Preisveränderungen dafür gemessen werden, nicht für jeden gleich relevant ist. Aber das ist klar und nun einmal nicht zu ändern. Nein, das Problem ist, dass man für diese Inflationsrate die heute berechneten Preise mit denen desselben Monats ein Jahr zuvor misst. Das bedeutet:
Wenn die Preise im entsprechenden Vorjahresmonat ungewöhnlich stark gestiegen sein sollten, ist der „Sockel“ der Berechnung hoch, so dass dieselben Preise dann eine niedrigere prozentuale Veränderung zum Vormonat ausweisen, als wäre der jeweilige Vorjahresmonat einer gewesen, an denen die Preise zufällig sogar gefallen sind. Anders formuliert:
Diese Rate ist nicht nur davon abhängig, was gerade mit den Preisen passiert, sondern auch davon, was vor einem Jahr passiert war … was aber für die derzeitige Lage völlig egal ist. Daher ist es sinnvoller, sich nur die Veränderung zum Vormonat anzusehen und diese dann zu indizieren. So sieht man wie in einem echten „Preisspiegel“, ob und wie stark und schnell die Preise steigen. Daher sollte man sich den sogenannten Verbraucherpreisindex ansehen, nicht die Inflationsrate, um zu beurteilen, ob da in Sachen Ende der Inflation etwas vorangeht. Diesen Verbraucherpreisindex haben wir im folgenden Chart … und sehen:

Nein, da ist von einer Wende nichts zu sehen. Und dass die Inflationsrate zuletzt stagnierte, liegt auch daran, dass der vorgenannte „Sockel“ hoch ist, weil die Teuerung im vergangenen Sommer schon ziemlich Fahrt aufgenommen hatte. Diese Kurve des „Harmonisierten Verbraucherpreisindex“ (harmonisiert heisst, dass der Warenkorb für die Berechnung auf einen Eurozone-Standard abgeglichen wurde) muss seitwärts laufen, idealerweise fallen, erst dann könnte man von einem Erfolg bei der Inflationsbekämpfung sprechen. Was kein Selbstläufer wird. Und wenn die Preise fallen, passiert das in der wahrscheinlichsten Variante der Zukunft aus Gründen, die uns allen nicht gefallen werden. Aber erst einmal zu einem anderen Punkt:
Sondereinflüsse durch die Energie-Problematik
Sie haben im vorstehenden Chart des HVPI gesehen, dass es da aber immerhin im Juni einen kleinen Knick gab. Ja, und der ist ein Grund, warum man lieber noch nicht auf die Wende hierzulande wetten sollte, denn der „Knick“ fällt uns in Kürze auf die Füsse.
Der wurde durch die Steuerminderungen bei Benzin und Diesel verursacht. Doch die ist ja nur für drei Monate terminiert, zumindest ist das jetzt, drei Wochen vor Ende der drei Monate, noch der Stand der Dinge. Das, was die Teuerung ab Juni ein klein wenig verlangsamt hat, fällt also ab September weg. Und mehr noch, ab Oktober kommt ja die Gasumlage. Was die Inflationsrate wiederum kräftig anschieben kann.
Dass diese momentane Verflachung der Inflationsrate kein taugliches Bild abgibt, wird dabei auch deutlich, wenn man sieht, dass die Inflationsrate der Eurozone derweil weiter angezogen hatte. Da andere Länder diese Benzin- und Diesel-Steuerermässigungen nicht haben bzw. schon vorher absolviert hatten, haben wir für die Eurozone für den Juli ein neues Hoch der Inflation von 8,9 Prozent gesehen.

Und dann wären da ja noch die vielen Unternehmen, die bei den regelmässigen Umfragen des ifo-Instituts melden, dass sie ihre Preise in den kommenden Wochen und Monaten weiter anheben werden, einfach, weil sie sonst nicht mehr zurande kommen. Auch das wird die Inflation vorerst noch hoch halten. Darüber hinaus sollte man eines bedenken:
Die „Rosskur“ der Notenbanken könnte uns vom Regen in die Traufe führen
Die Notenbanken haben als erklärtes Ziel, die Jahresveränderung der Preise auf zwei Prozent zurück zu drücken. Aber was hiesse das? Das hiesse nur, dass das Preisniveau langsamer, nämlich in einer Jahresrate von zwei Prozent, zulegt. Aber zwei Prozent statt jetzt in etwa acht, das heisst eben nicht, dass alles wieder billiger wird, sondern, dass es langsamer teurer wird, gerechnet vom derzeitigen Niveau aus. Das heisst, die Geldbeutel werden nur etwas langsamer leerer, nicht aber wieder voller.
Und die eigentliche Gefahr ist gar nicht mal, dass die Inflation zur Hyperinflation wird. Denn das Anheben der Leitzinsen und in der Folge die Verteuerung von Krediten und das „Absaugen“ von Geld aus dem Kapitalmarkt, all das ist durchaus geeignet, die Inflation zu stoppen und sogar umzukehren. Normalerweise ohne grösseren Schaden, aber diesmal ist die Ausgangslage eben nicht normal. So gesehen wäre es durchaus angemessen, sich vor den Nebenwirkungen, die diese Vorgehensweise nach Schema F, sprich „zu hohe Teuerung = Zinsen rauf“, hat, zu fürchten.
Denn dadurch, dass wir eine durch ein zu geringes Angebot ausgelöste Teuerung haben, kann die Bekämpfung der Inflation durch höhere Zinsen und damit durch höhere Kredit- und Refinanzierungskosten dramatisch schiefgehen. Nicht, weil die Inflation nicht zurückkommen würde, denn das wird sie. Sondern weil wir das zum Preis einer Rezession bekommen, die sehr schwierig zu bereinigen wäre. Weil?
Weil diejenigen, die die Preise mit getrieben haben, indem sie trotzdem fleissig weiter kauften und diejenigen, die von den Massnahmen der Inflationsbekämpfung am härtesten getroffen werden, zwei verschiedene Gruppen sind.

Die Preise sind deswegen gestiegen, weil Materialknappheit dazu geführt hat, dass weniger angeboten wurde, das aber zu viel höheren Preisen, z.B. bei Neufahrzeugen oder beim Bau. Diejenigen, die diese Preise akzeptiert und bezahlt haben, sorgten dadurch mit dafür, dass die Preise durch die enge Verbindung aller Branchen am Ende überall gestiegen sind. Aber diese Klientel, die solche Preise bezahlen konnte und wollte, ist eher klein. Das sind die, die relativ vermögend sind.
Die Preise in anderen Bereichen aber stiegen für alle, auch für die wachsende Zahl an Haushalten, denen längst massiv das Geld knapp wird. Und für die sind steigende Kreditkosten fatal, sie leiden unter höheren Zinsen viel mehr als die Vermögenden. Wenn also die Nachfrage fällt und das die Preise drückt, dann deswegen, weil immer mehr Menschen immer weniger kaufen können. Was sich beim Ende der Steuerminderung für Benzin und Diesel und dem Beginn der Gasumlage noch verschärfen wird.
Von der Preisspirale mit der Zins-Brechstange in die Rezessionsspirale
Und dieser Rückgang der Nachfrage, der die Inflation in der Tat drücken kann, womöglich sogar in einigen Monaten zu sinkenden statt nur zu langsamer steigenden Preisen führen wird, lässt somit das Wachstum implodieren, sprich die Wirtschaftsleistung schrumpft. Mit den üblichen Konsequenzen: Steigende Arbeitslosigkeit, massiver Druck auf die Unternehmen und ihre Gewinne etc.
Und überlegen wir mal was passiert, wenn die Preise wirklich insgesamt zu sinken beginnen. Nämlich das, was dann immer passiert: Während man im Frühjahr noch vorgezogene Käufe von denen sah, die noch höhere Preise vermeiden wollten, pflegen die Verbraucher bei fallenden Preisen immer weniger zu kaufen, weil sie da, wo es geht, abwarten, bis es noch billiger wird. Und das zeitgleich mit einer steigenden Arbeitslosigkeit und einem gestiegenen Anteil an Menschen, die durch die gestiegenen Zinsen sowieso nicht mehr in der Lage sind, grössere Anschaffungen zu tätigen.
Aus einer solchen Rezessionsspirale wieder herauszukommen, wird knifflig und langwierig, so gesehen: So wirklich toll wird es womöglich auch nicht, wenn die Inflation wirklich ihr Hoch gesehen hat, darauf sollte man sich sicherheitshalber im Hinterkopf einstellen.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
* Charts vom 05.08.2022, Chartquelle marketmaker pp4
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