Börse aktuell

Hier erfahren Sie, was an der Börse aktuell geschieht. Unser Börsenexperte Ronald Gehrt beobachtet täglich das aktuelle Börsengeschehen und fasst die neuesten Börsendaten und Börsenberichte wöchentlich für Sie zusammen. Mit Börse aktuell bringen wir die wichtigsten Börsennachrichten auf den Punkt und kommentieren, was momentan an der Börse los ist.

Börse: Aktuelle Nachrichten der Woche

Neues von der Börse: Unsere aktuellen Börsennachrichten informieren Sie jede Woche über die derzeitige Börsenentwicklung. Was beschäftigt die Börse? Was steht diese Woche an? Diktieren Bullen oder Bären die Märkte? Sollten Sie Ihre Investitionen erhöhen oder lieber Gewinne mitnehmen? Wir geben Ihnen die Antworten auf diese Fragen, wagen einen Ausblick auf die kommende Börsenwoche und bewerten anstehende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Börsenverlauf haben könnten.


Börse aktuell vom 27.-02.04.2023

Was wird denn jetzt mit Gold?

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Kann man die Entwicklung des Goldpreises wirklich tauglich vorhersagen? Reagiert Gold logisch auf die Veränderung der Rahmenbedingungen? Stehen dem Goldpreis jetzt „goldene Zeiten“ bevor oder nicht? Und muss man Gold überhaupt im Depot haben? Ein paar Gedanken dazu von einem, der das Edelmetall seit langem ziemlich emotionslos betrachtet.

Das letzte Mal, als mich die Magie des Goldes erfasste, war ich zehn oder elf Jahre alt und stand bis zu den Knien in den Bächen unserer Gegend, um mit meinen Freunden Gold zu schürfen. Denn ja, die Bäche glänzten förmlich. Mehrmals fuhr ich mit dem Fahrrad los und barg Schätze goldglänzenden Gesteins. Das indes, wie mein Vater mir erklärte, Katzengold war, Pyrit. Seither ist für mich bei Gold irgendwie die Luft raus. Andere sehen das aber anders. Und zwar sehr anders.

Entweder du bist ein „Gold Bug“, oder …

Es gibt Marktteilnehmer, die verstehen bei Gold keinen Spass. Für sie ist Gold „das“ Investment, alles andere ist Firlefanz. Und solche Akteure sind immer davon überzeugt, dass Gold steigen muss und wird. Diese „Gold Bugs“ waren mir schon immer suspekt, denn ich habe als Investor gelernt, dass alle Assetklassen wichtig und spannend sind und das nichts, aber auch gar nichts, steigen muss. Andere hingegen sehen Gold als völligen Blödsinn an und ignorieren es, wenn sie es nicht aus Prinzip sogar shorten. Auch diese Klientel scheint mir nicht ganz so zu denken, wie ich es tue.

Nun soll jeder nach seiner Fasson selig werden, wie angeblich einst Friedrich II. sagte. Aber ich habe als einer, der da irgendwie relativ ungerührt zwischen diesen Extremen herumsteht, den Eindruck, dass es gerade diese Extreme sind, die das Investieren und/oder Trading in Gold kniffliger machen als bei anderen Assetklassen.

Mich wundert es daher nicht, dass sich Gold noch erfolgreicher Prognosen entzieht als Aktienindizes, Währungspaare oder Bonds. Wenn wir uns mal ansehen, wo der Schnitt der Jahresend-Prognosen der Experten seit 2014 lag und wo Gold dann landete, muss man feststellen: So wirklich berechenbar ist es ja nicht, das Edelmetall.

Börse aktuell: Prognose für den Goldpreis von 2014 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Prognose für den Goldpreis von 2014 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Immer dann, wenn Emotionen dominieren, wird es knifflig. Denn emotional zu handeln heisst, sich um Logik einen feuchten Kehricht zu scheren und zugleich heute selbst noch nicht zu wissen, was man morgen tun wird. Und in der „Causa Gold“ kommt ja noch ein anderes Problem hinzu:

Logik? Bei Gold?

Es gibt bei Gold eigentlich auch keine zwingende Logik, die einen Trend führen könnte, wenn die Emotionen ausnahmsweise mal aussen vor wären. Gold hat keinen Wert, den man mit Unternehmensgewinnen, Zinsrenditen o.ä. messen könnte. Es geht also nie darum, dass Gold wie Aktien, gemessen an Wert-Parametern wie Buchwert oder KGV, relativ gesehen zu billig oder zu teuer sein könnte. Gold hat schlicht nichts, an dem man seinen Wert objektiv messen könnte. Es ist selten, ja. Es wird auch seitens der Industrie benötigt und ist ein wichtiges Element der Schmuckherstellung. Aber das sagt uns nicht, was eine Feinunze Gold kosten sollte.

Gerade das stellt die Emotionen so sehr in den Vordergrund. Mehr als ich, der zwar emotional handeln kann, aber grundsätzlich logisch denkt, nachempfinden könnte. Aber würde mich das nicht in die Lage versetzen, die Perspektive des Goldpreises relativ gut einordnen zu können, gerade weil ich die Sache nicht auf einer emotionalen Ebene sehe?

Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis und US-Leitzinsen von 1974 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis und US-Leitzinsen von 1974 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Nein, weil ich hier mit Logik ja nicht viel anfangen kann. Sehen wir uns mal an, wie Gold auf externe Einflüsse zu reagieren pflegt. Man sieht im vorstehenden Chart den Verlauf des Goldpreises über fast 50 Jahre im Vergleich zu den US-Leitzinsen. Würde man logisch denken, müsste man wie folgt argumentieren:

Steigende Zinsen bedeuten höhere Renditen bei Anleihen, dem Hauptkonkurrenten des Goldes im Wettlauf um den Spitzenplatz unter den angeblich „sicheren Häfen“. Ausserdem werden die Leitzinsen angehoben, weil die Wirtschaft zu stark wächst und man Inflation vorbeugen will (dass man jetzt mit den Leitzinsen der Inflation hinterherlaufen muss, ist eine Ausnahme, die es so vorher nur einmal in den 70er Jahren gab). Das hiesse: Die Wirtschaft brummt, die Unternehmensgewinne steigen, die Aktien müssten also tadellos laufen. Was soll man dann mit Gold? Trotzdem gab es in diesen knapp 50 Jahren Phasen, in denen Leitzinsen und Gold parallel stiegen.

Momentan haben wir eine ganz besondere Gemengelage

Und aktuell? Aktuell haben wir eine ganz besondere Situation. Einerseits ist der Aktienmarkt verblüffend stabil, andererseits steigen die Zinsen diesmal, um Inflation zu stoppen, nicht, um sie zu verhindern. Und Inflation löst Sorgen aus, die Angst, dass das Ersparte zu schnell schrumpft. Das ist für Gold ein perfekter Nährboden. Und wir sehen, dass Gold momentan auch läuft wie geschnitten Brot. Aber wenn man die Sache genauer betrachtet, hapert es dann nicht doch wieder mit der Logik?

Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis und Kursverlauf deutscher Bundesanleihen von 2020 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis und Kursverlauf deutscher Bundesanleihen von 2020 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Denn der Rest des Markts spielt momentan ja eine andere Karte. Zumindest sieht es so aus. Denn der Aktienmarkt hält sich ja, die Renditen der Anleihen kommen gerade zurück, der vorstehende Vergleich mit dem Bund Future als Kursbarometer für deutsche Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit zeigt, dass Gold viel stärker läuft als die Anleihen. Und vor allem:

Die Angst, dass man die Inflation nicht in den Griff bekommt, war ja im vergangenen Spätsommer und Herbst weit grösser als jetzt. Und wir sehen im Chart, dass der Goldpreis da eben nicht nach oben schoss. Er begann erst im November durchzustarten. Und das nicht gegen, sondern zusammen mit dem Aktienmarkt. Soweit zur Logik.

Aber kann man sich deswegen hinstellen und behaupten, diese Rallye des Goldpreises, die den Kurs wieder in Schlagdistanz zum Rekordhoch bei 2.075 US-Dollar gebracht hat, sei unsinnig und damit zum Scheitern verurteilt? Das sollte man besser nicht, denn:

Gold hätte jetzt seine Chance. Aber ob die genutzt wird …?

Hinter diesem „zweiten Bein“ der Gold-Rallye, das Anfang März begonnen hat, steckt vermutlich eine Angst, die man am Aktienmarkt noch nicht in seiner Gesamtheit sieht, beim Blick auf die Subindizes der Finanzbranche aber schon:

Die Angst, dass eine vergleichbare Bankenkrise wie 2008 die Wirtschaft in die Tiefe reisst, die Notenbanken deswegen die Zinsen sogar senken müssen, das wiederum der Inflation die Zügel freigibt und das alles zusammen in eine länger anhaltende Krisensituation mündet.

Ob es so kommt, weiss man nicht. Und da kommen wieder die Emotionen ins Spiel: Wer sich sorgt, lässt sich nicht so ohne Weiteres durch eine Flut an Beschönigungen und Beschwichtigungen beruhigen, immerhin lief es 2008 genauso. Und wie das ausging, ist noch genug Anlegern in Erinnerung. Genau das ist der emotionale Nährboden für einen steigenden Goldpreis. So gesehen wäre es tatsächlich drin, dass Gold sein altes Hoch relativ bald attackiert und überwindet. Die charttechnische Basis wäre, wie der Blick auf den Kurs auf Wochenbasis zeigt, durchaus vorhanden. Aber:

Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis 2020 bis 2023 | Quelle: TWS | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung Goldpreis 2020 bis 2023 | Quelle: TWS

Bei einem Asset wie Gold, das derart unberechenbar ist, würde ich als jemand, der der Sache ziemlich ungerührt als Zuschauer beiwohnt, unbedingt empfehlen, genau das auch zu tun: Schauen, was passiert, den charttechnischen Signalen folgen, aber bloss keine feste Meinung entwickeln, wohin Gold ab jetzt zu laufen hat und diese eigene Meinung stur handeln. Denn das Gold wird sich vermutlich nicht daran halten … und bei einer derart hohen Volatilität, die in dieser besonderen Gemengelage allemal noch zunehmen kann, können stur durchgehaltene Positionen leicht zum finanziellen Waterloo werden. Gold ist halt doch ein ganz besonderes Asset, auf seine Weise.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

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Börse aktuell: DAX, Dow Jones und Co.

Die heutigen Top-News und Börsenmeldungen zum DAX und der Börse USA mit dem Dow Jones, dem Nasdaq und dem S&P 500 als weltweit einflussreiche Indizes bilden einen Schwerpunkt unserer aktuellen Berichterstattung von der Börse. Auch gute Aktien, die momentan sehr stark im Fokus der Anleger stehen und steigende Börsenkurse prophezeien, werden wir Ihnen hier vorstellen. So bekommen Sie einen umfassenden Börsenausblick und können Ihre eigenen Börsenprognosen verifizieren oder falsifizieren.

Börse: Aktuelle Entwicklung und Trends

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Börse: Aktuelle Tipps zum Marktgeschehen

Neben Börsennews bekommen Sie auch hilfreiche Tipps, um das gegenwärtige Marktgeschehen besser zu interpretieren. Der Börsenmarkt setzt sich aus vielen verschiedenen Märkten zusammen. Jedes Land, jede Branche und jedes Finanzprodukt wird von individuellen Faktoren beeinflusst, sodass es schwierig ist, alle Märkte mit ihren jetzigen Chancen und Risiken zu verfolgen und zu analysieren. Mit Börse aktuell liefert Ihnen unser Börsenprofi die Börseninformationen, die wirklich wichtig sind, und zugleich eine kompakte Börsenvorschau der Woche.

Börse aktuell: Die letzten Nachrichten

Lassen Sie sich den Artikel vorlesen:

Der Mittwochabend kann für die Börsen zu einem Schlüsselmoment werden. Da wird die US-Notenbank das Ergebnis ihrer Sitzung mitteilen, wie immer wird dem Statement eine ausführliche Pressekonferenz folgen. Die Massnahmen und Einschätzungen der „Fed“ können in der derzeitigen Situation auf Monate hinaus wegweisend für den Trend bei Aktien, Anleihen, Edelmetallen und dem US-Dollar werden. Doch die Frage ist nicht nur, was da herauskommt. Die Frage ist vor allem, ob der Markt das dann als „richtig“ oder „falsch“ auslegt.

2008 ist für viele schon lange her, so mancher Anleger von heute hat diese Phase damals noch gar nicht mit eigenem Geld auf dem Konto und Aktien im Depot mitgemacht. Nicht, dass die Rahmenbedingungen heute genau gleich wären. Aber das aus den Rahmenbedingungen entstandene Problem ist es. Und wer damals dabei war, hat einen Vorteil: Er/sie wird sich erinnern, was die Psychologie der Masse alles anrichten kann.

So ganz anders wie damals ist die Lage aktuell gar nicht

Wobei eine gewisse Ähnlichkeit ja durchaus existiert. Damals wie heute wollten die Notenbanken bremsen. Im Zuge der Rezession bzw. Baisse 2000 bis 2003, ausgelöst durch das Platzen der sogenannten „Dot.com-Blase“ und intensiviert durch den 11. September 2001, hatte die US-Notenbank den Leitzins deutlich von zuvor 6,5 auf 1,0 Prozent gesenkt. Als sich die Lage 2004 wieder stabilisiert hatte, tat man, was grundsätzlich auch richtig ist: Man führte den Leitzins wieder in Richtung der vorherigen Levels zurück. Schliesslich war die Wirtschaft ja angesprungen, wie die folgende Grafik zeigt. Sie musste also höhere Zinsen als „Bremse“ gegen Inflation als Folge von zu starkem Wachstum-/Konsum aushalten können. Eigentlich.

Börse aktuell: Entwicklung US-Leitzins und Wachstumsrate US-Bruttoinlandsprodukt im Vergleich von 1994 bis 2015 | Online broker LYNX
Entwicklung US-Leitzins und Wachstumsrate US-Bruttoinlandsprodukt im Vergleich von 1994 bis 2015 – Quelle: marketmaker pp4

Aber die zuvor niedrigen Zinsen führten dazu, dass ein Immobilienboom losgetreten wurde. Die Banken versuchten wegen der niedrigen Gewinnspannen bei Krediten als Folge der Niedrigzinsen so viele Kredite wie möglich zu vergeben, um ihre Gewinne hoch zu halten. Und dabei immer öfter auch an solche, die sich solche grossen Kredite eigentlich nicht leisten konnten. Kommt einem bekannt vor, nehme ich an. Die Preise für Immobilien stiegen. Wegen der niedrigen Zinsen hielt das aber kaum jemanden ab, sich immer höher zu verschulden. Zumal immer mehr davon ausgingen, dass Häuser eine perfekte Möglichkeit seien, schnell viel Geld zu machen, weil deren Wert immer weiter und schneller stieg. Und je höher der Wert des Hauses als Sicherheit, desto höher konnte man Kredite auftürmen. Was indes nur so lange gut geht, bis die Preise kippen, weil der Markt übersättigt ist und/oder zu viele ihre Raten nicht mehr zahlen und zu viele Kredite ausfallen.

Als den Banken klar wurde, dass die Sache zu kippen droht, kamen einige auf die Idee, das Problem zu verschleiern, indem man wacklige Hypothekenkredite in Pakete packte und diese en bloc weiterverkaufte, um das Risiko an andere abzuschieben, die nicht erkannten, wie gross das Risiko unterhalb der schicken Verpackung dieser „Subprime-Pakete“ war. Wie das ausging, wissen wir. Aber was hat das mit heute zu tun?

Was heute ähnlich ist: Die Leitzinsen und mit ihnen die Kreditkosten sind gestiegen. Und damals wie heute haben wir eine Unmenge an Krediten, die zu Niedrigzinsen abgeschlossen wurden und bei denen über kurz oder lang die Zinsbindung ausläuft. Wenn der zu tilgende Restbetrag von Hypotheken dann nicht zu z.B. 1,5, sondern zu 5,5 Prozent weiter läuft, kann das, logisch, dramatische Folgen haben, denn auf Restlaufzeiten von 10 oder 20 Jahren gerechnet ist dieser Unterschied extrem. Bislang hat das die Anleger aber nicht irritiert. Weil?

Wehe, die falschen Fäden werden gezogen

Weil es erstens noch eine Zeit lang dauert, bis die grosse Welle der Hypotheken-Neuverzinsungen ansteht. Und weil sich zweitens viele wenige bis gar keine Gedanken darüber machen, wie Banken eigentlich funktionieren. Man gibt Geld hin oder holt sich Kredite, was da ansonsten passiert ist einem egal. Und schliesslich haben die Banken 2021 und 2022 immer mehr Gewinn gemacht und für 2023 mehrheitlich höchst optimistische Prognosen abgeliefert, es wird also schon alles in Ordnung sein. Aber das ist es nur, wenn in diesem Kartenhaus, das sich Bankwesen nennt, nicht am falschen Faden gezogen wird. Denn passiert das, wird es richtig knifflig.

Banken können ja deutlich mehr Kredite vergeben als sie selbst an Einlagen haben. Für jeden Euro, den Sie dorthin bringen, kann die Bank mehrere Euro Kredit an andere vergeben. Sie bekommen für Ihr Geld einen kleinen Zins, wer Geld leiht, zahlt einen deutlich höheren Zins. Die Differenz ist der Gewinn der Bank und ist, weil jeder Euro ja dann mehrfach „arbeitet“ und Zinsen bringt, hoch genug, um auch mal den einen oder anderen Ausfall zu verkraften. Und je höher die Zinsen am Kapitalmarkt sind, desto höher wird in der Regel auch die Spanne zwischen dem Zins, den die Bank gibt und dem, den sie nimmt. Damit kann also auch mal was schiefgehen, aber es darf nicht zu viel schiefgehen. Und derzeit haben wir gleich zwei Bereiche, in denen es brenzlig werden kann:

Zum einen sind mit höheren Zinsen nicht nur Vorteile verbunden. Die Kreditnachfrage wird über kurz oder lang bei deutlich gestiegenen Zinsen nachlassen. Zugleich steigt das Risiko, dass längerfristige Kredite wie Hypotheken nach einer deutlichen Anhebung des Zinssatzes ausfallen. Und Letzteres war ein Auslöser dafür, dass die Subprime-Blase 2008 dann wirklich platzte, nachdem man sich vorher ein, zwei Jahre die Hände rieb weil man dachte: „Das funktioniert ja wirklich mit diesen Subprime-Paketen!“

Zum anderen kann es zum Problem werden, wenn die Kunden ihre Einlagen abziehen. Denn wenn Geld über die Summen hinaus abgezogen wird, die die Bank zur Sicherheit für solche Fälle vorhält, was dann?

Wenn aus einem kleinen Problem ein grosses wird: Die Gefahr der psychologischen Lawine

Dann muss die Bank z.B. Anleihebestände verkaufen, um die eingeforderten Einlagen auszahlen zu können. Aber auch da taucht ein Problem auf. Bei steigenden Zinsen am Kapitalmarkt fallen die Kurse bereits umlaufender Anleihen, die sich dadurch an das steigende Renditeniveau anpassen. Das ist kein Problem, wenn man diese Anleihen bis zum Laufzeitende hält, da bekommt man dann den Nominalbetrag ausgezahlt. Aber wenn man während der Laufzeit verkaufen müsste, kann das massive Verluste bedeuten. Wie letzte Woche an dieser Stelle schon betont: Wer jetzt beginnt, über Anleihekäufe nachzudenken, hat hoch spannende Chancen in Reichweite. Wer aber am Tief der Leitzinsen gekauft hat, hängt jetzt mit Kursverlusten in seinen schlecht verzinsten Anleihen fest. Und das bedeutet: Wenn eine Bank jetzt massiv Anleihen verkaufen muss, weil zu viele Einlagen abgezogen werden und man anders an Geld nicht herankommt, weil das gerade vervielfacht als ausgegebene Kredite „arbeitet“, muss man mit Verlust verkaufen. Da stellt sich die Frage: Wieso kommt es denn überhaupt dazu, dass so viel, sprich „zu“ viel Geld abgezogen wird?

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 und Bankenindizes im Vergleich von 2018 bis 2023 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 und Bankenindizes im Vergleich von 2018 bis 2023 – Quelle: marketmaker pp4

Das hat die Bank nicht in der Hand, das ist das Problem. Das kann ursprünglich ein kleines Problem gewesen sein, das aber dummerweise in die Schlagzeilen geraten ist. Und dann kann es – es muss nie, aber es kann eben – losgehen, dass Sparer beginnen, sich negativ zu dieser Bank zu äussern. Und das Stirnrunzeln und „na, ich weiss nicht …“ beginnt sich auszubreiten. Da wirken die „sozialen Medien“ heutzutage zusätzlich als eine Art Booster. Und das funktioniert dann wie die „stille Post“: Die Sache wird immer wüster erzählt, breitet sich immer schneller aus …

… und auf einmal beginnen Leute, ihre Einlagen abzuziehen und bei einer anderen Bank anzulegen, sicher ist sicher. Andere sagen sich, dass sie ihr Geld ausgerechnet bei der Bank, über die man gerade nichts Gutes hört, nicht anlegen werden. Das macht sich dann natürlich irgendwann in den Bilanzen bemerkbar. Und dann kriegen alle mit, dass da irgendwas (was, ist dann völlig egal) nicht läuft, wie es sollte. Die Einlagen schrumpfen schneller, die Bank bekommt Probleme, genug Geld flüssig zu machen, um auszuzahlen – und das Kind liegt im Brunnen. Da stehen wir jetzt. Aber erst bei einigen wenigen und, von der Credit Suisse abgesehen, wo diese psychologische Lawine schon länger abgeht – regionalen US-Banken. Bis jetzt zumindest.

Bis jetzt ist noch fast nichts passiert. Ob das so bleibt, hängt (auch) von der „Fed“ ab

Damit ist bislang noch eher wenig passiert. Das sehen wir auch am vorstehenden Chart, der zeigt, dass die Subindizes des Bankensektors bei DAX und S&P 500 zuletzt ordentlich abgerutscht sind, dies den Gesamtmarkt aber bislang nur geringfügig unter Druck gesetzt hat. Immerhin notiert der DAX gerade immer noch 3.000 Punkte über dem 2022er-Tief, aber nur 1.000 Punkte unter dem letzten Zwischenhoch.

Börse aktuell: Entwicklung Dax, Gold und Bund Future im Vergleich von 2022 bis 2023 | Online Broker LYNX
Entwicklung Dax, Gold und Bund Future im Vergleich von 2022 bis 2023 – Quelle: marketmaker pp4

Und aktuell verzeichnen wir zwar einen Zulauf in sogenannte „sichere Häfen“ wie Anleihen und Gold, wie der vorstehende Chart zeigt. Aber der Aktienmarkt hält sich noch relativ wacker, auch, weil einige nur innerhalb des Aktienmarkts umschichten, indem sie z.B. Banken verkaufen, das Geld dafür aber in Hightech-Aktien investieren. Das Ergebnis ist, dass der Anteil von Aktien, die über ihrer 200-Tage-Linie notieren und damit mittelfristig als im Aufwärtstrend anzusehen sind, für den US-Aktienmarkt mit 65 Prozent immer noch ziemlich hoch ist.

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 und prozentuale Anzahl von US-Aktien die über der 200-Tage-Linie notieren von 2013 bis 2023 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 und prozentuale Anzahl von US-Aktien die über der 200-Tage-Linie notieren von 2013 bis 2023 – Quelle: marketmaker pp4

Noch ist das also ein Sturm im Wasserglas. Und es ist letztlich nur ein Faktor, der entscheidet, ob sich daraus ein Lawineneffekt für die Gesamtwirtschaft ergibt: Vertrauen.

Die Lawine würde dann abgehen, wenn diese Problematik schwindender Einlagen mehr Banken und das über die USA hinaus in Schwierigkeiten bringt und die wankenden Banken dazu führen, dass die Verbraucher so unruhig werden, dass sie nicht nur ihr Geld von der Bank holen, sondern zudem beim Konsum die Notbremse ziehen, weil sie sich nicht mehr trauen, grössere Ausgaben zu tätigen. Erst Recht nicht mehr auf Kredit. Zugleich würden die Banken ihre Kreditvergabe deutlich restriktiver halten, um die Risiken zu mindern so dass, wer Geld braucht, unter Umständen keines mehr bekommt. Ein Horror-Szenario, dessen Eintreten oder Ausbleiben nur an diesem Aspekt des Vertrauens hängt.

Inflation stoppen und die Banken stabil halten: Die „Fed“ hat übermorgen einen schweren Tag

Und da kommt die US-Notenbank ins Spiel. Was wird sie tun? Was wäre jetzt die richtige Entscheidung? Dass jetzt die Telefone heiss laufen, dass Regierungen sich einmischen und Banken drängen, die wankenden oder bereits zusammengebrochenen Banken zu übernehmen und so den Mantel des Vergessens darüber zu breiten, beruhigt niemanden.

Und wenn eine ganze Horde von Grossbanken jeweils Milliarden bei der First Republic Bank einzahlen, damit die nicht trocken läuft, auch nicht. Das wirkt eher, als würden die Grossbanken aus Angst, die Sache könnte sich ausbreiten, lieber ein paar Milliarden dort in den Wind schiessen als selbst in Schwierigkeiten zu kommen.

All das ist ein höchst durchsichtiges Gewurstel. Immer mehr Anleger verstehen jetzt, dass die radikale Inflationsbekämpfung, so unumgänglich sie auch ist, eben doch nicht ohne Folgen bleibt. Derart hoch gezogene Leitzinsen nach so vielen Jahren billigen Geldes … gut, nüchtern betrachtet hätte man sich das denken können. Aber dazu hätte man erst einmal an das „was wäre wenn“ denken wollen. Und das wollten die meisten eben nicht.

Aber jetzt geht eben die Angst um. Damit wird die US-Notenbank am Mittwoch einen schweren Tag haben, denn sie muss es irgendwie allen zugleich Recht machen. Die EZB hatte ja letzten Donnerstag vorgelegt, blieb konsequent bei der vorher avisierten 0,50 Prozent-Erhöhung auf 3,50 Prozent im Hauptrefinanzierungssatz und signalisierte dadurch: Wir halten Kurs, um die Inflation zu besiegen … und das mit den Banken ist nicht problematisch genug, um dafür den Kurs zu verlassen.

Kann die „Fed“ es genauso machen? Die Credit Suisse ist nicht das Problem der EZB. Die US-Banken aber das der „Fed“. Und dass jetzt Branchenvertreter und Regierungsmitglieder lautstark tönen, dass es aber sowas von keinen Grund gebe, sich Sorgen zu machen, erinnert ungut an 2008. Beruhigen wird das keinen. Vor allem die nicht, die das damals miterlebt haben.

Jetzt vonnöten: Die eierlegende Wollmilchsau

Die US-Notenbank hatte bereits vorvergangene Woche eine Art „Infusionszugang“ für Banken in Liquiditätsnot gelegt, das „Bank Term Funding Program“. Aber auch das ist ja keine nachhaltige Lösung des Problems. Das kann die Flammen eindämmen, aber nicht die Glut löschen.

Der „Fed“ müsste es am Mittwoch gelingen, was immer sie auch tut, so zu kommunizieren, dass ihr die Marktteilnehmer in ausreichend grosser Zahl abkaufen, dass sie zugleich die Inflation bald in den Griff bekommen wird und zugleich keine Ausweitung der Folgen der höheren Leitzinsen in der Wirtschaft und vor allem im Bankensektor zu befürchten ist.

Das ist zwar realistisch gesehen kaum möglich. Aber es wäre eher zu schaffen, wenn die Anleger bzw. die Verbraucher der Fed glauben wollen, dass das gelingt und deswegen weiter machen wie zuvor, statt den Konsum zu reduzieren und ihr Geld von den Banken abzuziehen. Die US-Notenbank muss also eine Art eierlegende Wollmilchsau erschaffen. Wir werden sehen, ob es ihr gelingt!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Lassen Sie sich den Artikel vorlesen:

So viele Jahre musste man hierzulande als Anleihekäufer sogar noch Geld mitbringen, statt Zinsen zu bekommen, dass sehr viele derzeit nicht nur abwinken, wenn sie das Wort Anleihen hören. Sie kommen gar nicht erst auf die Idee, dort mal hinzuschauen. Was aber gar keine so üble Idee wäre. Wagen wir doch mal einen Blick … und entwirren bei der Gelegenheit ein paar Dinge, über die viele dauernd stolpern.

Anleihen sind langweilig. Basta. Wie oft habe ich das schon gehört. Klar, wenn man seitens der Finanzindustrie hört, dass nur Aktien selig machen, die ja langfristig (wenn man die Statistik zum richtigen Zeitpunkt beginnt) immer steigen und mehr Dividende abwerfen als Anleihen Zinsen bringen (ausser, die Dividenden werden gestrichen). Ausserdem kann man ja selbst mit diesen Micker-Zinsen, die man jetzt bekommt, die Inflation nicht ausgleichen. Mit Aktien schon, weil die im Schnitt der letzten X Jahre pro Jahr Y Prozent gestiegen sind (einfach passende Zahlen einfügen und fest dran glauben, dass es auch so weitergeht).

Don’t get me wrong, um Barack Obama zu zitieren, ich bin alles, nur kein Gegner von Aktien. Wenn es so wäre, wäre es Ihnen ja bestimmt auch schon aufgefallen. Aber ich habe jetzt 34 Jahre als Anleger bzw. Trader (und Zocker) hinter mir und all das 28 Jahre davon als Journalist begleitet. Und ja, Phasen, in denen Aktien eine problematische und Anleihen eine gute Wahl waren, waren zwar selten und werden es auch in Zukunft sein, aber es gibt sie. Und eine solche Phase beginnt jetzt.

Mal kurz aufgeräumt: Regelmässig verwirrende Dinge in Sachen Anleihemarkt

Vorab möchte ich kurz ein paar Dinge zum Anleihemarkt erklären, bei denen ich in meiner Anfangszeit an der Börse nur Bahnhof verstanden und mich geärgert habe, dass die „Abteilung Schlaumeier“ immer mit solchen Begriffen um sich warf in der Hoffnung, es klingt gescheiter, ohne das irgendwann mal zu erklären. Das mit den klaren Worten vermisse ich heute immer noch, also mache ich das jetzt einfach mal.

Anleihen, Renten und Bonds sind das gleiche. Ob man also vom Anleihemarkt, dem Rentenmarkt oder dem Bondmarkt spricht, es ist ein und dasselbe. Wer sich gerne gescheit gibt, spricht da dann auch gerne von den „Festverzinslichen“. Und meint Anleihen. Oder eben Renten. Oder Bonds. Es geht immer um festverzinsliche Wertpapiere. Irgendwer (ob Bund, Länder, Kommunen oder Unternehmen) leiht sich für eine vorab fix festgelegte Zeit Geld bei denen, die es ihnen geben wollen und zahlt dafür einen ebenso vorab fix festgelegten Zins, in der Regel jährlich.

Der Zins (d.h. die jährliche Summe, die als Zins gezahlt wird) und die Rendite sind nicht dasselbe. Denn der Kurs einer Anleihe bewegt sich, ebenso wie der einer Aktie. Und wenn man eine Anleihe mit einem Zinskupon (d.h. einem jährlichen Zins, man nennt das auch noch Kupon, weil man früher solche Kupons an den real ausgegebenen Anleihen dran hatte und seinen Zins dann mit dem Kupon für das jeweilige Jahr in der Hand bei der Bank gegen Bares einlöste) von 2,5 Prozent nicht zum Ausgabepreis von (in der Regel) 100 gekauft hat, sondern zu 80, ist der Zins zwar immer noch 2,5 Prozent, die Rendite aber höher. Die liegt dann bei 3,125 Prozent (Rendite = Zins ./. Kaufkurs). Umgekehrt ist sie niedriger als 2,5 Prozent, wenn man die Anleihe für mehr als 100 gekauft hat.

Der Kurs einer Anleihe (oder US-amerikanisch eines Bonds) und seine Rendite hängen also zusammen. Steigt die Rendite, fällt der Kurs, fällt die Rendite, steigt der Kurs. Dabei orientiert sich die Rendite einer Anleihe immer an den Veränderungen der Zinsen am Kapitalmarkt. Dazu gleich mehr, denn das ist der Knackpunkt, um den es letztlich jetzt geht.

Wer meint, dass Anleihen nur in Bezug auf diese Zinsen relevant seien, weil die Kursveränderungen wenn, dann zu vernachlässigen sind, irrt. Sehen Sie sich dazu mal den folgenden Chart an:

Börse aktuell: Rendite für deutsche Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit und Kurse des Bund Futurse im Vergleich von 1998 bis 2023 | Online Broker LYNX

Hier sehen Sie die Veränderungen der Rendite für deutsche Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit und den Kursverlauf des Bund Future seit 1998. Der Bund Future bildet den Kursverlauf dieser zehnjährigen Bundesanleihen (Bundesanleihen werden gerade auch „Bunds“ genannt, ich tue es der Kürze wegen ab hier auch) am Futures-Markt nach und ist damit eine Art Kursbarometer für den Anleihemarkt, denn die Laufzeit von zehn Jahren wird allgemein als die wichtigste angesehen. Sie sehen: Das ist eher nicht wenig, was sich da beim Bund Future getan hat. Da wurden in der Spitze 155 Prozent Kursgewinn erreicht, während die Renditen immer weiter fielen. Und wenn wir mal vergleichen, wie sich der DAX in dieser Zeit geschlagen hat, sehen wir:

Börse aktuell: Entwicklung Dax Kursindex, Dax Performanceindex und Bund Future im Vergleich von 1998 bis 2023 | Online Broker LYNX

Der Bund Future schlug zwar den DAX Performanceindex nicht, aber der ist eigentlich keine sinnvolle Vergleichsbasis. Denn dieser DAX, den wir allgemein gezeigt bekommen, ist ja dadurch „gepusht“, dass Dividendenzahlungen wie Kursgewinne gerechnet und sofort reinvestiert werden, dazu hatte ich mich ja erst vor drei Wochen an dieser Stelle ausgelassen. Der Bund Future aber rechnet die Zinsen nicht ein. Also wäre der DAX Kursindex, der nur die Kursveränderung der Aktien rechnet, der bessere Vergleich. Und der blieb hinter dem Bund Future zurück. Das Ganze wird noch krasser, wenn man genau zu Beginn des Jahres 2000 mit dem Vergleich startet. Das nur, um zu zeigen, dass ich das Jahr 1998 nicht bewusst gewählt hatte, um die Argumentation heimlich optisch aufzupeppen.

Börse aktuell: Entwicklung Dax Kursindex, Dax Performanceindex und Bund Future im Vergleich von 2000 bis 2023 | Online Broker LYNX

Die Leitzinserhöhungen der EZB haben die Renditen am Anleihemarkt nach oben gezogen. Man bekommt dadurch nach einer unerfreulich langen Phase, in denen die Renditen sogar negativ waren, wieder Zinsen, für zehn Jahre waren es am Freitag 2,45 Prozent. Das klingt nicht nach grandiosen Chancen. Aber der Zins ist eben nicht alles, es gibt ja noch die Schiene potenzieller Kursgewinne. Zwar ist der Bund Future zuletzt heftig gefallen, es gab also, als Reaktion auf die steigenden Renditen (siehe Erklärung oben) Kursverluste. Aber diese Verluste werden enden, wenn das Zinshoch erreicht ist. Noch ist das nicht der Fall, aber es sollte lohnen, den Anleihemarkt jetzt im Blick zu behalten. Wie muss man sich das vorstellen? Was entwickelt sich da gerade?

Einschub: Warum die Kurse fallen, wenn die Renditen steigen

Das sollte nicht vergessen werden: Wieso fallen die Anleihekurse überhaupt, wenn die Zinsen steigen? Das liegt letztlich daran, dass der Markt Differenzen immer mehr oder weniger schnell ausgleicht. Wenn Sie in der Niedrigzinsphase eine Zehn-Jahres-Anleihe mit einem Zinskupon von 0,5 Prozent zu 100 gekauft haben, haben Sie jetzt ein Problem. Denn zu 100 will die keiner haben, falls Sie sie verkaufen wollten. Jetzt wären 2,5 Prozent aufgerufen. Ihre 0,5 Prozent-Anleihe würden Sie also nur losbekommen, wenn der Kurs so viel niedriger wäre, dass er die schwächere Verzinsung über den Rest der Anleihe-Laufzeit ausgleicht.

Und weil das bei allen Anleihen so ist, alle an der Börse handelbar sind und auch rege gehandelt werden, sehen wir nachgebende Anleihekursen, wenn die Verzinsung am Kapitalmarkt insgesamt steigt und steigende Kurse, wenn sie sinkt. Und damit kommen wir zu dem Punkt, wieso die aktuelle Phase so interessant ist.

Das Zinshoch rückt näher: Warum Anleihen jetzt interessant werden

Wir wissen jetzt: Die Renditen der Anleihen laufen mit dem Kapitalmarktzins mit, der vom Leitzins der Notenbank geführt wird. Wenn die Akteure am Anleihemarkt erwarten, dass die EZB ihren Kurs in Kürze ändert, kann es zwar Abweichungen geben, weil natürlich, wie am Aktienmarkt auch, versucht wird, Wenden vorwegzunehmen. Aber der folgende Chart zeigt: Grundsätzlich haben wir da einen „Parallelflug“.

Börse aktuell: Entwicklung EZB Leitzins und Rendite 10jähriger Bunds von 2021 bis 2023 | Online Broker LYNX

Das bedeutet: In dem Moment, in dem die EZB das Ende der Zinserhöhungen erreicht hat und man davon ausgehen könnte, dass der nächste Zinsschritt eine Zinssenkung wäre, wäre eine ideale Gelegenheit, um Anleihen zu kaufen bzw. sie idealerweise schon zu haben. Denn dann würde man nahe am höchsten Punkt der Verzinsung einsteigen UND hätte die Chance, Kursgewinne einzufahren.

Wenn Sie sich in der vorstehenden Grafik ansehen, wie deutlich die Renditen beispielsweise ab dem Sommer 2008 fielen, als die EZB nach einer Phase von Leitzinsanhebungen die Richtung wechselte und sich erinnern, dass man dann nicht nur Anleihen mit Zinskupons von vier und mehr Prozent bekam, sondern diese Anleihen dann auch noch massive Kursgewinne einbrachten, dürfte klar sein:

Wenn die EZB nahe am Hoch der Leitzinsen angekommen ist, wird es spannend. Wobei die Grafik auch zeigt: Ob man dann genau den richtigen Moment erwischt oder ein paar Monate zu früh oder zu spät dran ist, spielt mittelfristig keine entscheidende Rolle. Eine kleine Hilfestellung kann der sogenannte „Zinsspread“ sein, den man meist zwischen den Renditen von Bunds (oder US-Anleihen etc.) mit den Laufzeiten von zwei und zehn Jahren misst:

Börse aktuell: Entwicklung Rendite Bunds 10 Jahre Laufzeit und Rendite Bunds 2 Jahre Laufzeit im Vergleich von 2006 bis 2023 | Online Broker LYNX

Aktuell liegt die Rendite der kurzen Laufzeit deutlich höher als die der langen. Das ist unüblich und wirkt unlogisch, denn je länger ich mein Geld verleihe, desto besser will ich dafür entlohnt werden. Dass dieses Verhältnis gerade auf dem Kopf steht liegt daran, dass man davon ausgeht, dass die Zinsen zwar kurzfristig noch steigen, mittel- und langfristig aber wieder fallen. Und diese Erwartung wieder fallender Renditen preist man einfach schon mal ein. Wenn aber die Rendite der „Zweijährigen“ wieder unter die der „Zehnjährigen“ fällt, hiesse das, dass man jetzt auch kurzfristig wieder niedrigere Zinsen einzupreisen beginnt … und damit am Markt erwartet, dass das Zinshoch ganz nahe ist (wobei das nicht gelten würde, wenn die Rendite der „Zehnjährigen“ die kürzere Laufzeit auf dem Weg nach oben überholt, klar).

Wird die EZB ihr Zinshoch bald erreichen? Das kann nicht einmal die EZB wissen, das ist abhängig von den kommenden Daten, insbesondere zur Inflation und da insbesondere zur Kernrate. Warten wir es ab. Noch könnten höhere Renditen bei den längeren Laufzeiten drin sein. Aber man könnte sich überlegen, jetzt schon mal einen Fuss in die Tür zu stellen, indem man langsam in kleinen Portionen anfängt, ein wenig einzukaufen. Denn ein paar weitere Aspekte zum Thema Anleihen sollte man auch bedenken:

Man sollte nie vergessen: Bei Anleihen ist sicher, was man bei Aktien erhoffen muss

Auch, wenn die Dividenden am deutschen Aktienmarkt im Schnitt noch über der Rendite für zehnjährige Laufzeiten bei den Bunds liegen: Die Anleiherendite holt massiv auf. Und diese Rendite verändert sich für Sie vom Zeitpunkt des Kaufs an ja nicht mehr. Da halten Sie dann bis zum Ende dieser Laufzeit eben diese Rendite, zusammengesetzt aus dem Zins und dem Einstiegskurs. Denn am Ende der Laufzeit bekommen Sie ja den Nominalwert von 100 ausgezahlt, egal, ob Sie die Anleihe während der Laufzeit zu 80 oder zu 100 gekauft haben. Und Zins und Auszahlung sind sicher. Dividenden sind es nicht.

Börse aktuell: Entwicklung Dividendenrendite Deutschland und Rendite Bunds 10 Jahre Laufzeit im Vergleich von 2008 bis 2023 | Online Broker LYNX

Hinzu kommt, dass mögliche Kursgewinne nur die Veränderung der Zinsen am Kapitalmarkt widerspiegeln. Sie brauchen keine anderen Marktteilnehmer, die den Kurs ihrer Anleihe „hochkaufen“, das passiert letztlich wegen dieser fixen Orientierung quasi von alleine, wenn die Renditen fallen. Am Aktienmarkt sieht das anders aus. Wenn die Bullen wegbleiben, geht gar nichts mehr.

Übrigens, klar muss sein: Sie haben jederzeit die Wahl, ihre Rendite bis zum Ende der Laufzeit der Anleihe zu geniessen oder, wenn es gut läuft, hohe Kursgewinne mitzunehmen, indem Sie verkaufen. Was Sie jederzeit über die Börse tun können. Aber es gibt eben nur „entweder, oder“. Wenn die Anleihelaufzeit vorbei ist und das Kapital vom Anleihe-Emittenten zurückgezahlt wird, dann nicht mit Kursgewinn, sondern genau in der Höhe, zu der man die Anleihe auch ausgegeben hatte. Zeitweilige Kursgewinne schmelzen daher zum Ende der Laufzeit zusammen, man sollte also immer aufmerksam verfolgen, was sich tut.

Und dieses Argument, dass die Renditen aktuell immer noch niedriger sind als die Inflation: Ja, das ist zwar so. Aber Sie behalten ja die Rendite, die Sie beim Kauf haben, über Jahre bei, bis zum Ende der Laufzeit. In dieser Zeit ist es gut möglich bis wahrscheinlich, dass die Inflation unter diese Rendite fällt. Und dass Aktien normalerweise mehr bringen als die Inflationsrate hoch ist, stimmt auch. Aber gerade in Phasen hoher Inflation und steigender Zinsen sind Aktien riskanter als sonst. Das wirkt zwar beim Blick auf den DAX momentan nicht so. Aber wenn man mal an die Wall Street schaut, sieht das schon anders aus.

Lieber nur die beste Bonität nehmen!

Zuletzt wäre da noch die Sache mit den höheren Renditen bei Anleihen in anderen Ländern erwähnenswert. Bei manchen auslands-Anleihen sieht man ja Traum-Renditen, teilweise von sieben, acht oder mehr Prozent. Warum also nicht die nehmen?

Börse aktuell: Entwicklung Rendite Bunds 10 Jahre Laufzeit und Rendite US-Bonds 10 Jahre Laufzeit im Vergleich von 2008 bis 2023 | Online Broker LYNX

Je höher die Rendite, desto höher ist das Risiko, dass da etwas schiefgeht, indem der Kreditnehmer die Zinszahlungen nicht leisten kann oder am Ende sogar die Rückzahlung ausbleibt. Genau deswegen müssen diese weniger sicheren Kreditnehmer ja höhere Zinsen bieten. Daher:

Anleihen sollte man nur von Emittenten mit sehr guter Bonität kaufen. Wobei man die höheren Renditen in den USA durchaus nicht vom Tisch wischen sollte. Man muss nur bedenken, dass dann das Risiko besteht, dass der US-Dollar während der Laufzeit an Wert verliert und Sie zwar mehr Zins bekommen, dafür aber am Ende einen Währungsverlust erleiden. Aber zum einen kann es auch anders herum laufen, d.h. zur höheren Rendite könnte noch ein Währungsgewinn kommen, wenn der Dollar bis zum Ende der Laufzeit Ihrer US-Anleihe gestiegen ist. Und zum anderen hat man ein Währungsrisiko beim Kauf von US-Aktien genauso, auch, wenn man sie hierzulande in Euro kauft, denn ein Wertverlust des US-Dollars wird dann in den Eurokurs automatisch eingepreist.

Also: Es sollte sich lohnen, das Thema Anleihen jetzt auf den Tisch zu bringen und es dort auch liegen zu lassen. Wir kommen in eine Phase, in der bei Anleihen mehr möglich ist, als die meisten das denken würden!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

* Charts vom 10.3.2023, Chartquelle marketmaker pp4

Lassen Sie sich den Artikel vorlesen:

Wenn mich die aktuelle Entwicklung des europäischen Aktienmarkts an die Phase vor dem Zusammenbruch des damaligen Kartenhauses im März 2000 erinnert, dann nicht, weil die Chartbilder ähnlich wären. Auf den ersten Blick haben auch die Rahmenbedingungen nichts miteinander gemein. Aber die Saat, aus der lange Gesichter wachsen, ist dieselbe: Man argumentiert und agiert entlang einer „alternativen“ Realität. Wo liegen die Knackpunkte?

Ich hatte im Vorfeld des Beitrags überlegt, ob ich Chartvergleiche heranziehen sollte, die deutlich machen, dass der europäische Aktienmarkt gerade in einer ähnlichen Situation ist wie 2000 oder 2008. Das ist zwar im Prinzip so. Aber da gibt es auch einige deutliche Unterschiede. Man müsste also charttechnisch ein Risiko an den Haaren herbeiziehen, obwohl es eigentlich ohnehin ganz woanders lauert. Jede scharfe Korrektur, jeder Crash, jeder Beginn einer Baisse läuft ein wenig anders ab. Aber eines ist immer gleich:

Das „Pippi Langstrumpf-Phänomen“ taucht überall auf

Zu viele Anleger wissen nicht was sie tun oder aber könnten zwar die Realität erkennen, bauen sich aber lieber ihre eigene, weil die einfacher strukturiert ist und das Bild zeigt, welches sie gerne hätten. Das klingt abwegig, denn damit das an der Börse eine Rolle spielt, müssten sehr viele so vorgehen. Aber wer ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hat, könnte mir vielleicht zustimmen: „Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt“, sprich das Pippi Langstrumpf-Phänomen, ist in der Tat ausserordentlich weit verbreitet. Oft basiert das auch auf mangelnder Fachkenntnis, d.h. viele verstehen eine komplexe Gemengelage gar nicht. Und das macht es umso leichter, sich seine alternative Realität zu basteln.

Dabei muss man das nicht einfach mal so behaupten, man kann es durchaus mit Händen greifen. Drei Elemente führe ich heute an, die man derzeit auch medial als bullisch verkauft, die aber, wenn man dem gesunden Menschenverstand zumindest erlaubt, ab und an mal vorbeizuschauen, so eben nicht richtig sind. Und die, wenn man die Sache durchdenkt, vielmehr dazu animieren würden, diese gerade beim DAX so nahe am Allzeithoch liegenden Kurse zum Aus- und nicht zum Einstieg zu nutzen … und selbst in den USA, wo die Hochs weiter weg liegen, zuzusehen, dass man Land gewinnt.

Nicht, weil die Party in wenigen Tagen vorbei sein müsste. Das kann so sein, das kann aber auch noch Wochen, vielleicht Monate so weitergehen. Aber die Erfahrung lehrt (die Logik pflichtet bei): Wann und wo das Hoch sein wird, weiss man nie vorher. Daher hat der alte Börsenspruch, der, wenn ich mich recht erinnere, von André Kostolany geprägt wurde, schon seinen Sinn: „Die letzten paar Punkte sind meist die teuersten.“

Die Inflation könnte noch sehr lange ein Problem sein

Egal, mit wem ich ausserhalb des Kollegenkreises rede, ich erkenne beim Thema Inflation schnell, ob jemand seine Altersvorsorge massiv auf Aktien aufgebaut hat oder nicht. Wer kein volles Aktiendepot hat, ist über die Inflation äusserst beunruhigt. Wer dick in Aktien drin ist, erklärt mir mit einem Blick, mit dem man einem eher dummen Menschen erklärt, wie ein Wasserhahn funktioniert, dass der Inflationstrend doch längst klar nach unten weist. Glauben Sie mir, ich vermeide mittlerweile, genauso zurück zu schauen und die Sache zu erklären. Denn wer gerade bei Aktien Buchgewinne erzielt und glaubt, die seien in Stein gemeisselt und zugleich ein in meinen Augen brandgefährliches Übergewicht in Aktien hält, will sowieso nicht zuhören. Aber sehen Sie sich mal das hier an:

Börse aktuell: Entwicklung der Preise in der Eurozone nominal als Index | Online Broker LYNX

Dieser Chart zeigt die Entwicklung der Preise in der Eurozone nicht auf Basis der Jahresrate, die durch den statistischen Basiseffekt verfälscht wird, sondern einfach nur nominal als Index. Und da können wir nicht nur sehen, dass die Preise seit Anfang 2000 knapp 62 Prozent gestiegen sind, sondern auch, dass die Preise im Februar höher lagen als am letzten Hoch im Oktober. Die Inflationsrate mag niedriger sein als im Herbst. Aber die Preise nicht. Und worauf kommt es denn an, wenn es um die Perspektive des Wachstums geht: Auf eine rechnerische Grösse oder auf die Realität?

Hinzu kommt, dass die Warenkörbe, anhand derer die Teuerung gemessen wird, nicht imstande sein können, die tatsächliche Belastung der Verbraucher korrekt wiederzugeben. In dem auf 2020 neu adjustierten Warenkorb des Statistischen Bundesamts ist der Bereich Verkehr mit 13,8 Prozent gewichtet. Speziell der Kauf von Fahrzeugen hat im Warenkorb dabei eine Gewichtung von 4,6 Prozent. Wenn heute jemand, der nicht gerade über dem Einkommensdurchschnitt liegt, einen neuen Wagen kaufen muss, den er vielleicht zehn Jahre fahren kann, um dann ein Zehntel des Neupreises beim Verkauf zu bekommen, muss er selbst für einen VW Golf in der simpelsten Variante 30.000 Euro berappen. Das ist für den Durchschnittverdiener ein Netto-Jahreseinkommen. Geteilt durch zehn Jahre Nutzung sind das, auch, wenn man die paar Kröten einrechnet, die man dann noch dafür bekäme, also pro Jahr fast ein Zehntel des Einkommens und nicht 4,6 Prozent. Und da wären die Finanzierungskosten noch nicht einmal mit drin.

Zweites Beispiel Miete. Mit Nebenkosten sind 1.000 Euro für eine Wohnung mit 80 bis 100 Quadratmeter heute in etwa normal. Wobei viele mehr als froh wären, wenn sie damit hinkommen würden. Aber halten wir das mal fest. Das wäre bei einem Nettoeinkommen von 3.000 Euro im Monat (was schon über dem Schnitt liegt) ein Drittel. Meist aber ist es mehr. Der Warenkorb rechnet aber für Wohnkosten wie Miete, Wasser, Strom, Gas u.a. nur 26,9 Prozent. Und über die Kosten für Neubaukäufe wollen wir mal gar nicht reden.

Die Inflation ist daher für das Individuum eher höher als die offiziellen Zahlen. Und dass die Kernrate der Teuerung (in der Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden) den durch den gefallenen Gaspreis ausgelösten Rückgang der Gesamt-Jahresveränderung nicht widerspiegelt, sondern die ganze Zeit stur weiter gestiegen ist, macht deutlich:

Das Inflationsproblem ist alles, nur nicht im Griff. Und das ist nicht nur den Notenbanken klar, sondern auch den nicht umsonst als besonnener und erfahrener geltenden Investoren am Anleihemarkt. Dort steigen die Renditen immer weiter, man hat erkannt: Die EZB, aber auch die US-Notenbank, kommen nicht umhin, die Zügel weiter anzuziehen. Und wenn sogar die Renditen für Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit nach oben ausbrechen, signalisiert das, dass man nicht damit rechnet, was sich manche Aktienmarkt-Euphoriker einbilden, nämlich, dass die Zinsen ruckzuck wieder fallen werden.

Börse aktuell: Entwicklung der Rendite von Bundesanleihen mit 10 Jahren Laufzeit | Online Broker LYNX

Nun entgegnen einige, dass gerade die weiter anziehenden Leitzinsen aber die Inflation schnell wieder drücken werden, so dass man am Aktienmarkt nur ein wenig früh dran ist, die anstehende Phase massiven Wirtschaftswachstums einzupreisen. Und, auch das ist ein auf den ersten Blick gutes Argument: Die grossen Unternehmen können sich all dem ja entziehen, daher darf und muss sich der DAX von diesem „Bodensatz der Realität“ ja abheben. Ist das so?

Die Unternehmensgewinne der Blue Chips steigen bislang einfach weiter, aber …

Da kommen wir zum zweiten Aspekt, der in meinen Augen zu einer „alternativen Realität“ umgedichtet wird, indem man beim Denken um mehrere Ecken einfach da aufhört, wo das Ergebnis einem in den Kram passt.

Richtig ist schon, dass die Gewinne bei vielen Unternehmen, bei denen der Verbraucher eine unmittelbare Rolle spielt, nach 2021 auch 2022 weiter stiegen und nicht selten neue Rekorde erreichten. So bei den Automobilkonzernen. Und auch die Banken verdienen derzeit fröhlich immer mehr. Trotzdem ist die Bewertung des DAX über sein Kurs/Gewinn-Verhältnis scheinbar weiter niedrig. Aber das liegt daran, dass gerade die Bereiche Automobil und Finanzen üblicherweise besonders niedrig angesetzte Bewertungen haben. Ich zeige Ihnen dazu noch einmal den Chart, den ich schon vergangene Woche gebracht hatte:

Börse aktuell: Entwicklung KGV DAX und KGV Dow Jones im Vergleich 2015 bis 2023 | Online Broker LYNX

Dadurch wirkt der DAX wie ein Schnäppchen. Aber er wirkt eben nur so, denn dass man in solchen Branchen kein allzu hohes Vielfaches des Gewinns für eine Aktie zahlt liegt daran, dass diese Gewinne sehr unstet sind und schnell auch mal negativ werden. Wenn wir uns ansehen, dass z.B. die Autobauer ihre Gewinnmargen 2022 erneut steigern konnten, könnte man in einer alternativen Realität behaupten: Wenn die ihre Gewinne sogar bei Inflation steigern können, kann nichts den Trend stoppen. Wirklich?

Doch, das kann es sehr wohl, wenn die Verbraucher diese Entwicklung entweder nicht mehr stemmen können oder wollen. Wenn die Kosten steigen und der Absatz an Fahrzeugen leicht sinkt, wie kann es dann sein, dass die Gewinnmargen von Mercedes, VW & Co. dabei steigen und nicht fallen, die Gewinne immer höher gehen? Das ist dann der Fall, wenn die Unternehmen die Preise über das Mass der eigenen, gestiegenen Kosten hinaus anheben, sprich mit dem Argument der Inflation die eigene Gewinnspanne erhöhen. Clever?

Geschmackssache. Aber eines wird dadurch schon deutlich: Auf freundliche Mithilfe der Grossunternehmen braucht man nicht zu hoffen wenn man darauf setzt, dass die Inflation zurückkommt. Hier holt man aus den Verbrauchern raus, was irgend geht. Die Frage ist nur: Geht das denn unbegrenzt?

Wenn man sich die Ausblicke der Autobauer, aber auch der Banken, bei denen es nicht viel anders läuft, so ansieht: Dort geht man offenbar fest davon aus. Und wer sich seine alternative Realität zurechtbiegt, macht aus solchen Prognosen einfach Fakten. Aber es wäre eher neu, wenn solche Unternehmen wirklich wüssten, was ihre potenziellen Kunden in ein paar Monaten denken und tun werden.

Diese Aktien haben die Hausse des DAX zuletzt besonders befeuert, schauen wir uns mal die Auto- und Finanztitel im Vergleich zum Index seit Oktober an:

Börse aktuell: Aktien, die den DAX seit Oktober 2022 steigen liessen | Online Broker LYNX

Doch dabei übersieht die „Pippi Langstrumpf-Abteilung“ meiner Ansicht nach etwas Entscheidendes. Wenn die Preise immer höher geschraubt werden, verdienen die Autokonzerne immer mehr, richtig. Doch da diese höheren Preise nicht auf vergleichbar steigende Einkommen treffen, gibt es nur die Wahl zwischen „ich lasse es bleiben“, „ich verzichte dafür auf anderes“ oder „ich muss noch mehr Kredit aufnehmen“. Noch tun viele Letzteres. Aber mit steigenden Leitzinsen als Folge der hohen Inflation werden die Kredite nicht nur immer teurer, auch die Kreditvergabe wird restriktiver. Die Prognosen von Automobilkonzernen, 2023 noch mehr zu verdienen, sind daher durchaus „ambitioniert“.

Und gerade diese Aktien haben den DAX gezogen. Dementsprechend müsste man die Aussage, dass sich die Blue Chips dem Druck auf die Konjunktur entziehen, mit einem dicken „noch“ versehen. Was diejenigen, die jetzt massiv kaufen, aber nicht tun. Dieses Ausblenden der Kehrseiten ist einer dieser Faktoren, die mich gerade sehr an das Jahr 2000 erinnern.

Und diese Sache mit der restriktiveren Kreditvergabe schlägt den Bogen zum dritten Aspekt, der mir gerade quer im Magen liegt: die Kapitalverfügbarkeit.

Kapitalverfügbarkeit: Der Konjunktur wird zwangsläufig das Geld knapp

Wenn die grossen Unternehmen zum Zweck der eigenen „Gewinnoptimierung“ weiter alles aus dem Verbraucher herausholen, sprich die Preise immer höher schrauben, kommen wir automatisch an einen Totpunkt. Denn hinsichtlich des Unternehmensgewinns (unter anderem bei Autobauern oder Banken, deren Kurse jetzt gerade durch die Decke getrieben werden) zählen nicht diejenigen, die jetzt immer noch ordentlich Geld auf der hohen Kante haben, um weiter umfassend Aktien kaufen zu können. Es zählt die sogenannte „Masse“. Diejenigen also, die kleinere und mittlere Einkommen haben. Die müssen …

… sich die höheren Preise leisten können. Die müssen, wenn sie es sich nicht leisten können, Kredite bekommen. Und die wiederum müssen sie auch abzahlen können. Und genau da wird es sehr wahrscheinlich bald klemmen. Restriktivere Kreditvergabe, steigende Kreditkosten, höhere Preise: Die Kapitalverfügbarkeit wird ein Problem werden. In den USA deutet sich das, siehe die folgende Grafik, bereits an. Europa pflegt solchen Trends mit ein, zwei Quartalen Zeitverzögerung zu folgen.

Börse aktuell: Entwicklung der Sparquote in den USA von 1979 bis 2023 | Online Broker LYNX

Das haben viele Vermögende, weil sie diese Sorgen nicht haben, womöglich nicht auf dem Schirm. Aber die Masse der Autos, aber auch der hochpreisigen Elektronik- und Kommunikationsartikel, kauft die „Masse“. Und wenn sie das nicht mehr kann, weil die Preise UND die Kreditkosten steigen, werden weniger Autos verkauft, werden weniger Kredite aus Sorge vor deren Platzen vergeben … und damit werden auch diejenigen grossen Branchen, denen man momentan noch stetig steigende Gewinne zutraut, unter Druck kommen.

Wenn alles teurer wird und zugleich die Zinsen steigen, wird nun einmal das Geld knapp. Das kann zwar dauern, aber ich persönlich bin mir keineswegs sicher, ob die optimistischen 2023er-Ausblicke von so manchem Automobilkonzern und so mancher Grossbank am Ende auch so eintreffen werden.

Die Notenbanken gegen den Rest der Welt

Wäre es so gelaufen, wie ich es im Herbst einmal an dieser Stelle vermutet hatte, wären wir vielleicht schon aus dem Gröbsten raus. Der Konsum wäre rasant geschrumpft, hätte Preissenkungen erzwungen, man hätte die Zinsen womöglich schon Ende 2023 wieder senken können, es wäre, nach einer Phase gezielt erzwungener Verknappung, ein Neustart möglich gewesen. Der Aktienmarkt würde jetzt nach einer kräftigen Korrektur einen Boden bilden und wie z.B. im März 2003 oder im März 2009 eine durchaus realistische, neue Wachstumsphase vorwegnehmen. Das hatte ich mir zumindest so vorgestellt. Und es hätte auch so kommen können, aber an zwei Fronten wird das Falsche getan.

Während die Notenbanken in den USA, in Grossbritannien und der Eurozone konsequent versuchen, die Inflation zu stoppen, weil sie um die fatalen Folgen wissen, die ein „laissez faire“ nach sich ziehen würde, tun die Notenbanken in China und Japan das Gegenteil. Statt „quantitative tightening“ wird dort weiter „quantitative easing“ betrieben. Man pumpt Geld in die Wirtschaft, das kommt teilweise am Aktienmarkt an und wird momentan scheinbar vor allem in Europa in die Märkte gestopft. Die verblüffenden Kurssteigerungen in Europa führen dazu, dass sich Anleger, die sich eine „alternative Realität“ aufgebaut haben, in der all diese vorgenannten Risikofaktoren entweder gelöst sind oder nicht existieren, zusätzlich auf dünnes Eis begeben.

Zugleich unterminieren die Regierungen, mehr noch in der Eurozone als in den USA und dort auch und gerade in Deutschland, die Bemühungen, die Preise durch ein Austrocknen der Nachfrage zu stabilisieren, indem sie Geld an die Verbraucher verteilen, ohne gezielt nur diejenigen zu unterstützen, die dringend Hilfe brauchen. In Grossbritannien führten alleine solche Ideen zum Rücktritt von Regierungschefin Truss, hier zuckt man nur mit den Schultern. Gleiches gilt für die Unternehmen, die im Windschatten der Inflation Rekordgewinne scheffeln und dann Geld unter den Mitarbeitern verteilen. Damit wird der Konsum hoch gehalten, denn wer Geld bekommt, gibt es aus und die Preise müssen nicht gesenkt werden.

Stoppkurse helfen … wenn man sie auch umsetzt

Dass das am Ende zu immer höheren Zinsen und damit zum „Totpunkt“ führt, wird ausgeblendet. Dass die Wirtschaft durch dieses „Mogeln“, das wirkt, als würde einem Opa heimlich einen Zehner zustecken, um die Kaufkraft des von den Eltern bewusst moderat gehaltenen Taschengelds aufzubessern, künstlich stabilisiert wird und gerade das die Inflation aufrechterhält, blenden sehr viele aus.

Die Folgen werden deswegen nicht ausbleiben. Doch was tun, wenn sich so viele gerade die Welt machen, wie sie ihnen gefällt und der DAX immer höher steigt? Dasselbe, das im März 2000 oder im März 2008 opportun gewesen wäre:

Wer weiss, dass da eine riesige Schere aufgeht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Ungunsten der Kurse zuschnappen wird, zugleich aber auch weiss, dass die Mehrheit das entweder nicht merkt oder nicht merken will, sollte diese so hohen Kurse nutzen, um den Gewinn konsequent abzusichern. Die meisten tun das nicht … und das wird sich rächen.

Aber das heisst nicht, dass man unbedingt alles sofort verkaufen muss, denn niemand weiss, wann die Sache schiefgeht. Immerhin läuft diese „Pippi Langstrumpf“-Rallye schon seit fünf Monaten, warum also nicht noch ein paar Monate länger? Teilverkäufe ergeben Sinn, den Rest mit Stoppkursen konsequent abzusichern, wäre sogar zwingend. Aber wer dazu nicht automatische Ausstiegspunkte über Stop Loss-Verkaufsorders setzt, sollte, bei im Kopf gesetzten Stopps, immer wieder rekapitulieren: Das bringt nur etwas, wenn man dann auch wirklich ohne Wenn und Aber verkauft. Denn das hatten viele im März 2000 nicht getan … und dann gerät man, ich erinnere mich an diese armen Tröpfe gut, in eine Situation, in der man am Ende gar nicht aussteigt und mit in die Tiefe gezogen wird.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

*Charts vom 3.3.2023, Chartquelle marketmaker pp4

Lassen Sie sich den Artikel vorlesen:

In Europa läuft es aktuell mit den Börsen. Seit Jahresbeginn kamen am Aktienmarkt zeitweise über zehn Prozent Gewinn zusammen. Und das keineswegs nur beim DAX, andere europäische Aktienindizes liefen vergleichbar stark. All das wäre nichts, worüber man sich wundern müsste, wären die US-Indizes zugleich nicht auffällig schwach. Was passiert da gerade? Und wenn man gute Gründe dafür hätte … sind die von Dauer? Wagen wir uns an eine Spurensuche.

In den USA werden Trends geboren und begraben, heisst es. Und das zu Recht. Die USA sind im Vergleich zur Eurozone die grössere Wirtschaftsmacht. Dort versammelt sich zudem weitaus mehr Kapital. Dass ein den Weltmarkt abbildender Aktienindex wie der MSCI World-Index zwei Drittel seines investierten Kapitals in den USA hat, macht das sehr deutlich. Daher ist der normale Gang der Dinge, dass die US-Indizes den Trend vorgeben und Europa folgt, wobei die Reaktionen der Euro-Börsen aufgrund der geringeren Marktbreite tendenziell intensiver sind als die US-Vorgaben.

Der folgende Chart zeigt, dass das anfangs, als die Aktienmärkte zu Beginn des vierten Quartals 2022 auf einmal zu steigen begannen, auch so lief. Aber dann, nachdem es im Dezember zu einer Konsolidierung kam, stieg Europa im Januar stärker als Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq 100. Und während es an den US-Börsen seit Mitte Februar ziemlich deutlich abwärts geht, halten sich Eurozone-Indizes wie DAX, CAC40 (Paris) oder IBEX (Madrid) an der Börse aktuell nahe ihrer Jahreshochs.

Börse aktuell: Entwicklung europäischer Indizes und US-Indizes im Vergleich von 2022 bis 2023 | Online Broker LYNX

Das ist nicht normal. Und immer, wenn etwas derart Ungewöhnliches passiert, tut man gut daran, den Grund herauszufinden. Denn nur dann könnte man zumindest einigermassen einschätzen, ob man mit Eurozone Long-Trades gut fährt oder ob diese untypische Outperformance nicht womöglich sogar ein Argument ist, um gerade hier Short zu sein, weil man erwarten kann, dass sich die Schere schliesst, indem Europa den USA hinterherfällt. Was könnte also dahinterstecken?

Billiges Geld aus Asien? Das könnte in der Tat der „Motor“ sein

Der bekannte J.P. Morgan-Analyst Mike Wilson schrieb kürzlich im Zuge eines Artikels (in dem er die Wall Street als erheblich absturzgefährdet einstufte), dass ein Grund, warum die Aktienmärkte bislang nicht auf die toxische Kombination aus Inflation, höheren Leitzinsen und dem gezielten Entziehen von Geld durch die Notenbanken (Quantitative Tightening) reagierten, in folgendem Phänomen liegt:

Die Notenbanken in China und Japan fahren einen komplett gegenläufigen Kurs. Dass die Inflation dort wirklich so gering ist, wie man es in den offiziellen Zahlen behauptet, ist zwar denkbar, aber zu bezweifeln. Doch genau diese niedrige Teuerung hält als Argument her, um mit dem Vorgehen weiter zu machen, dass uns allen diese Zwickmühle eingebrockt hat: Das Aufrechterhalten von Wachstum mit der Brechstange durch „billiges Geld“. Was man in Wahrheit aber wohl vor allem deswegen tut, weil die Verschuldung in beiden Ländern extremer ist als hier und man auf eine schwache Währung setzt. Zinsanhebungen würden dort also noch brutaler wirken als in den USA und Europa, also tut man so, als wäre alles Bestens. Dass das schiefgeht, ist zu vermuten. Wann das schiefgeht, bleibt offen.

Hat Wilson Recht, geht es da um sechs Billionen US-Dollar, die von den Notenbanken Chinas und Japans seit Oktober in die Wirtschaft gepumpt wurden. Und wie immer kommt ein Teil solcher Summen auch am Aktienmarkt an, vor allem, weil viele Unternehmen nichts mit so viel Geld anfangen können, wenn auf der anderen Seite die Verbraucher nicht mitziehen. Viel davon liegt dann bei Banken auf Halde … die es dann auch mal „investieren“.

Es wirkt, als würden hier Handelsprogramme oder gar „KI“ wüten

Aber wer steuert die Geldflüsse? Wer entscheidet, welche Richtung dieser Motor einschlägt? Wenn wir uns überlegen, dass erfahrene Investoren wissen, dass Europa keineswegs besser dasteht als die USA und sich solche Scheren zu schliessen pflegen, dann käme der Verdacht auf, dass hier Dilettanten am Werk sind. Aber Dilettanten bekommen keine Summen in die Finger, mit denen sie eine solche Outperformance der Euro-Börsen generieren könnten. Was bleibt?

Es wäre zumindest denkbar, dass grosse Adressen das „billige Geld“ nehmen und dort investieren, wo sie sich eine Rendite versprechen, die weit über den Kreditkosten liegt … dafür aber nicht geradestehen wollen, wenn es schiefgeht. Dass für Spekulationen dort Geld geholt wird, wo es am leichtesten zu haben ist und dann dorthin transferiert wird, wo die Gewinne locken, ist nichts Neues, denken wir an die Carry-Trades am Devisenmarkt, vor allem bei Euro/Yen und US-Dollar/Yen.

Börse aktuell: Entwicklung Dax und Dow Jones im Vergleich von 2022 bis 2023 | Online Broker LYNX

Für mich entsteht der Eindruck, dass hier computergesteuerte Handelsprogramme unterwegs sind, womöglich auch noch „unterstützt“ durch die „künstliche Intelligenz“. Denn das Kursverhalten des DAX in der zweiten Monatshälfte wäre typisch für eine Situation, in der Handelsprogramme dominieren, sehen wir uns den vorstehenden Chart an:

Da sehen wir, dass fünf Tage nacheinander stur in Schwäche hinein gekauft wurde, was Sie an den Dochten dieser fünf im Chart markierten DAX-Tageskerzen sehen. Und das in einer Situation, in der es insgesamt mit dem Index seitwärts geht. Aber wer kauft in die Verkäufe anderer hinein, während die normalerweise wegweisende Vorlage in Form des Dow Jones deutlich nach unten tendiert? Entweder Akteure, die keine Ahnung haben, was sie da tun … oder Computer, die ausschliesslich auf den Bereich fixiert sind, in dem sie gerade agieren. Sprich computergesteuerte Handelsprogramme.

Das ist nicht sicher, schliesslich hängt an den Orders kein Zettel mit Absender wie bei der Gepäckaufgabe. Aber es ist ein so auffälliges Kursverhalten, dass es gut möglich wäre, dass hier „billiges Geld“ von Computern „verwaltet“ wird.  Die aber nur das Trading übernehmen, nicht die Auswahl des Anlageziels. Daher meine Vermutung (auch hier kann es nicht mehr sein als das), dass man dann auch noch die „KI“, die „künstliche Intelligenz“ mitmachen lässt. Denn schauen Sie sich mal an, was vordergründig für Europa und gegen die USA sprechen würde:

Eine „dumme Maschine“ würde genau das tun, was wir gerade erleben

Wenn wir einen simplen Vergleich anstellen würden, wie es mit den Basis-Daten für die USA und Europa aussieht, würde Europa tatsächlich besser dastehen. Nehmen wir beispielhaft das Wachstum in den letzten Quartalen. Dazu sehen wir in der folgenden Grafik den direkten Vergleich der Eurozone gegen die USA:

Börse aktuell: Wachstum BIP der Eurozone und der USA im Vergleich 2005 bis 2023 | Online Broker LYNX

Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum Vorjahresquartal ist in der Eurozone momentan höher als in den USA. Das ist aber nur in dieser Momentaufnahme ein Argument, Europa zu bevorzugen, denn grundsätzlich ist die US-Wirtschaft eben weitaus grösser, stärker und daher auch eher imstande, aus Krisen wieder herauszukommen. Wer nachdenken und wirklich abwägen könnte, würde das erkennen. Nächste Grafik:

Börse aktuell: Entwicklung KGV DAX und KGV Dow Jones im Vergleich 2015 bis 2023 | Online Broker LYNX

Hier sehen wir, dass ein Vergleich des Kurs/Gewinn-Verhältnisses zwischen den Aktien des Dow Jones und denen des DAX deutlich zu Gunsten des DAX zu sprechen scheint, denn der ist viel „billiger“. Dass diese Differenz zum einen üblich ist und vor allem mit der unterschiedlichen Branchenstruktur innerhalb der beiden Indizes zu tun hat, weiss ein erfahrener Investor. Weiss es ein Computer, den man vorschiebt, um Riesensummen auf Pump für Spekulation einzusetzen, für die man nicht geradestehen will, wenn es schiefgeht?

Eher nicht. Denn diese Sache mit der „künstlichen Intelligenz“ ist ja wirklich ein Thema für sich. Besonnenheit und Erfahrung kluger, menschlicher Köpfe kann damit nicht ersetzt, erst recht nicht übertroffen werden. Zumindest heute noch nicht. Und, wenngleich das nur meine subjektive Sicht der Dinge ist, auch zukünftig nicht. Noch ein Beispiel, auf Basis dessen eine angebliche „Intelligenz“ sicher sein könnte, wo man jetzt kaufen muss:

Börse aktuell: Entwicklung Leitzins der EZB und der FED im Vergleich von 2001 bis 2023 | Online Broker LYNX

In den USA ist der Leitzins stärker gestiegen und liegt mit 4,75 Prozent höher als der der EZB mit 3,0 Prozent (in der Grafik passt die Skalierung nicht ganz zum EZB-Zins, das ist der Berechnung von zwei Datenreihen in nur einem Chart geschuldet). Je höher der Zins, desto stärker die Bremswirkung, also ist das Geld in Europa besser aufgehoben. So könnte ein Computerprogramm denken oder ein völlig unerfahrener Anleger. Da aber nur erstere Milliarden in die nicht vorhandenen Hände bekommen, ist klar: Wenn, geht eine solche „Logik“ auf das Konto solcher Programme. Jetzt stellt sich die Frage: Geht das auf Dauer nicht schief?

Computer sind doof … ist das heute wirklich anders?

Vor 40 Jahren sang die Band Spliff „Computer sind doof“. Damals war die Basis dieser Aussage, dass Computer nur das können, was man ihnen vorgibt. Falsch programmiert … und schon geht die Sache in die Hose. Heute sollen „KI“-Programme selber denken können … aber was Erfahrung, Besonnenheit, die Fähigkeit des Abwägens von Chancen und Risiken angeht, darf man festhalten: Bislang sind mir da umwerfende Erfolge in Sachen Börse noch nicht aufgefallen.

Ich fasse mal zusammen, was darauf hindeuten würde, dass hier „billiges Geld in Händen von grossen Adressen nicht nur die Inflationsbekämpfung unterminiert, sondern auch hoch riskant in Europas Aktienmarkt wandert:

Dass die Aktienmärkte genau mit der Wende 3./4. Quartal durchstarteten …. dass die Tech-Aktien der Nasdaq weiter fielen, aber genau zum Wechsel vom 4. Quartal 2022 zum 1. Quartal 2023 nach oben drehten … und dass Europa seit Beginn des 1. Quartals outperformt … das deutet auf „grosse Adressen“ hin. Seien es Hedgefonds, ETFs, Banken im Eigenhandel etc. Also Adressen, die einerseits an solch „billiges Geld“ aus Übersee herankommen und andererseits sehr oft ihre Strategie zu Quartalswenden ändern.

Dass ausgerechnet Europa, das normalerweise nicht gegen die Tendenz der US-Börsen läuft, stark ist, dies aber nur nachvollziehbar wäre, wenn man Momentaufnahmen bei bestimmten Konjunkturdaten bzw. den Zinsen und der Bewertung für bare Münze nehmen und als in Stein gemeisselt ansehen würde, deutet auf den Einsatz von Computern hin. Denn nur Computer können so „doof“ sein.

Dass tagelang stur verhindert wird, dass der DAX (gilt auch für andere Indizes wie den Euro Stoxx 50) aus einer Handesspanne nach unten heraus rutscht, dabei aber ignoriert wird, dass der übliche Vorlagengeber USA längst nach unten abgedreht hat, deutet auf die Steuerung durch computergesteuerte Handelsprogramme hin. Denn die arbeiten nur chart- und markttechnisch und wissen gar nicht, dass es einen Tellerrand gibt, über den man schauen könnte. Fazit: Da reiht sich ein dünnes Beinchen an das andere.

Die Schere könnte schon relativ bald zuschnappen

Erstens dürften die Handelsprogramme ziemlich schnell die Reissleine ziehen und auf „Sell“ schalten, wenn der Druck durch andere Marktteilnehmer so gross wird, dass DAX & Co. eben doch aus ihren Handelsspannen nach unten ausbrechen. Es sei denn, man schaltet dann die Systeme ab und agiert per Hand gegen den Trend, kauft immer mehr nach, um die Niederlage zu verhindern. Was es auch schon gab, z.B. Anfang 2008. Und damals ging das brutal schief.

Zweitens ist es zumindest wahrscheinlich, dass sich dieser scheinbare Vorteil Europas in Sachen Zinsen oder Wachstum mittelfristig relativiert. Sollte hier eine „KI“ die Richtung des Motors namens „billiges Geld“ steuern, könnte es also gut sein, dass man da über kurz oder lang in eine andere Richtung fährt.

Drittens sind grosse Summen, die billig geliehen werden, um grosse Gewinne zu erzielen, immer höchst nervöses Geld. In dem Moment, in dem so etwas nicht so läuft, wie es müsste, werden die Verantwortlichen schnell nervös und ziehen auch schon mal überraschend und ohne Vorwarnung den Stecker.

Wann das passiert, ob diese „Spurensuche“ überhaupt zu den richtigen Schlussfolgerungen geführt hat, kann ich nicht absehen. Aber festhalten liesse sich schon: Gute Argumente, wieso Europa an der Börse aktuell so viel besser laufen sollte als die US-Indizes und das auch noch auf Dauer, findet man nicht. Das heisst nicht, dass es mit DAX & Co. zunächst nicht trotzdem noch höher gehen könnte. Aber in meinen Augen steht die Sache auf Treibsand.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

*Charts vom 24.2.2023, Chartquelle marketmaker pp4

Lassen Sie sich den Artikel vorlesen:

Während dem DAX derzeit nur ein paar wenige Prozentpunkte zum bisherigen Rekordhoch fehlen, hinkt der europäische Gesamtmarkt scheinbar meilenweit hinterher. Denn das bisherige Allzeithoch des Euro Stoxx 50 datiert auf das Jahr 2000 und ist noch über 25 Prozent entfernt. Aber da muss man „scheinbar“ dick unterstreichen, denn die Wahrheit sieht anders aus. Dieses Bild eines starken DAX basiert nur darauf, dass die Medien stur Äpfel mit Birnen vergleichen!

Ob es eine gute Idee ist, an der Börse aktuell auf einem Level um das alte Rekordhoch des DAX einzusteigen, das im November 2021 erreicht wurde und an dem der Index dann im Januar 2022 abgeprallt war und seinen Abstieg begann, sei mal dahingestellt, das soll heute nicht das Thema sein. Thema ist: Der DAX ist mit seiner Annäherung an alte Rekorde nicht nur nicht allein. Andere Märkte sind da schon weiter, speziell in Europa, wo es ja … warum, sei erneut dahingestellt … pünktlich mit Beginn des neuen Jahres läuft wie geschnitten Brot.

Immerhin hatte der französische CAC40 sein bisheriges Verlaufshoch am Donnerstag schon kurz überboten. Und in London hat der FTSE 100 seine bisherigen Rekorde bereits geknackt. Trotzdem: Ganz schön stark, unser DAX. Vor allem, wenn man da den Vergleich zum Euro Stoxx 50 zieht, dessen Allzeithoch in das Jahr 2000 zurückgeht und noch weit, sehr weit entfernt ist. Kein Wunder, könnte man denken, wenn man sich diesen folgenden Chartvergleich anschaut. Während der DAX seit der Jahrtausendwende ein dreistelliges Plus erzielt hat, hängt der Euro Stoxx 50 doch tatsächlich in der Verlustzone fest. Scheinbar zumindest.

Börse aktuell: DAX in üblicher Darstellung und Euro Stoxx 50 - Vergleich der Performance von 2000 bis 2023 | Online Broker LYNX

Denn auch, wenn man solche Vergleiche öfter sieht: Sie sind faktisch falsch. Hier werden zwei Kursverläufe abgebildet, die auf unterschiedliche Weise berechnet werden. Und auch, wenn man im ersten Moment meinen könnte, dass dieser Unterschied so entscheidend nun auch nicht ist: Doch, auf lange Sicht ist er es. Und zwar sehr.

Langfristig macht mit oder ohne Dividende einen gewaltigen Unterschied aus

Konkret geht es darum, dass nahezu alle wichtigen Aktienindizes weltweit auf zwei unterschiedliche Arten berechnet werden: Als Kursindizes und als Performanceindizes. Der Unterschied:

Während bei der Berechnung als Kursindex nur die tatsächliche Veränderung der Kurse der im Index gelisteten Aktien zählen, werden bei einem Performanceindex darüber hinaus die Dividenden dazugerechnet. Sie werden wie Kursgewinne behandelt. Und nicht nur das, sie werden auch noch umgehend rechnerisch reinvestiert. Und das läppert sich, je länger man das tut, denn da greift dann auch noch ein Zinseszins-Effekt. Und auch ohne das Reinvestieren kann man sich denken, dass da auf mehrere Jahre gerechnet eine grosse Differenz entsteht, immerhin liegt z.B. die durchschnittliche Dividendenrendite deutscher Unternehmen über die letzten 20 Jahre um die drei Prozent. Drei Prozent, die jedes Jahr obendrauf gerechnet werden und damit die Kapitalbasis Jahr um Jahr sukzessiv vergrössern.

Und was an diesem vorstehenden Chart, der eine dramatische Differenz zwischen DAX und Euro Stoxx 50 vorgaukelt, unzulässig ist, ist eben der Umstand, dass man da den DAX als Performanceindex abbildet, den Euro Stoxx 50 aber als Kursindex. Richtig ist zwar, dass der DAX in den Medien grundsätzlich als Performanceindex gemeldet und gezeigt wird und der Euro Stoxx 50 als Kursindex. Aber in Ordnung wäre das nur, wenn a) jeder Anleger sich dessen bewusst ist und den Unterschied versteht und b) die Vergleiche dann auf Basis der jeweils gleichen Berechnung durchgeführt würden. Was aber so gut wie nie passiert. Würde man das tun, käme ein anderes Bild heraus. Sehen Sie im nächsten Chart, wie sich die Differenz darstellt, wenn man die beiden jeweils anderen Berechnungsweisen in diesen Chart einfügt:

Börse aktuell: DAX und Euro Stoxx 50 als Kursindex und Performanceindex - Vergleich der Performance von 2000 bis 2023 | Online Broker LYNX

Da wird der Unterschied schon deutlich kleiner, wenngleich der DAX trotzdem noch einen Vorsprung hat, egal, ob man beide Indizes auf Performance- oder auf Kursbasis vergleicht. Auch angesichts dieser Grafik müsste man zu dem Schluss kommen: Im Zweifel lieber in den DAX investieren! Aber auch das sollte man hinterfragen, denn:

Gut gelaufen, schlecht gelaufen … es kommt immer darauf an, wann man den Vergleich beginnt!

Statistiken sind ja höchst „biegsam“, nicht nur, indem man Äpfel mit Birnen vergleicht, kann man einen falschen Eindruck erzeugen. Je nachdem, welche Skalierung man wählt, kann ein Unterschied klein oder gross wirken. Und je nachdem, wann man den Vergleich startet, kann, was anders gut wirken würde, auf einmal schlecht sein. Das gilt auch für den Vergleich zwischen DAX und Euro Stoxx 50. Sehen Sie sich dazu mal die nächste Grafik an:

Börse aktuell: DAX und Euro Stoxx 50 als Kursindex und Performanceindex - Vergleich der Performance von 2020 bis 2023 | Online Broker LYNX

Startet man den Vergleich am Tief des Corona-Crashs 2020, nimmt also nicht die Jahrtausendwende als Ausgangspunkt, sondern den eher überschaubaren Zeitraum von knapp drei Jahren, stellt man fest: Schau an, der Euro Stoxx 50 ist ja stärker gelaufen als der DAX! Und nicht nur das:

Ersterer hat auch, wenn man ihn als Performanceindex abbilden würde und nicht als Kursindex, wie das sonst immer gemacht wird, mitnichten noch meilenweit zum Rekordhoch des Jahres 2000 vor sich, sondern hat als Performanceindex ein neues Rekordhoch nach dem anderen erzielt und ist im Gegensatz zum DAX bereits am Ende 2021 erzielten Schlussrekord dran!

Börse aktuell: Euro Stoxx 50 als Kursindex und Performanceindex - Vergleich der Performance von 2000 bis 2023 | Online Broker LYNX

Weltweit dominieren die Kursindizes … nur bei der DAX-Familie nicht

Solche Äpfel/Birnen-Vergleiche zeichnen also für den DAX in ein positives Bild, das so nicht korrekt ist. Viele andere Indizes laufen, wenn man dieselbe Berechnungsbasis heranzieht, besser, wirken aber, wenn man nur dem DAX den „Performance-Bonus“ zubilligt, schwächer. Nicht gut. Dabei ist es gängige Praxis, die Indizes als Kursindizes zu zeigen, auch an der Wall Street. Es gibt zwar auch dort für jeden wichtigen Index eine Berechnung als Performance-Index, so z.B. auch für den marktbreiten S&P 500, der genauso als sogenannter „Net Total Return-Index“ existiert, bei dem die Dividenden mit eingerechnet werden, wie die folgende Grafik zeigt. Und das gilt ebenso für den Dow Jones oder den Nasdaq-Index. Aber ob Euro Stoxx 50 oder S&P 500:

Wenn Sie die in den Medien sehen, sehen Sie die Kursindizes. Wenn Sie den DAX in den Medien sehen, sehen sie den durch die Dividenden „aufgepeppten“ Performanceindex.

Börse aktuell: DAX und S&P 500 als Kursindex und Performanceindex - Vergleich der Performance von 2013 bis 2023 | Online Broker LYNX

Warum man das so macht, muss man wohl kaum eigens erläutern. Immerhin geht es darum, Anlegern schmackhaft zu machen, ihr Geld in Aktien anzulegen und da dann bitteschön am besten im eigenen Land. Daher werden DAX, MDAX, TecDAX und SDAX immer in dieser günstigeren, die Performance schönenden Version gezeigt. Was ja in Ordnung ginge wenn das, wie gesagt, jeder wüsste und die Vergleiche mit dem Rest der Welt korrekt erfolgen. Hier sehen Sie, dass der S&P 500 den DAX über zehn Jahre sogar dann deutlich schlägt, wenn er als Kursindex gezeigt und damit benachteiligt wird. Als Performanceindex (grün) lief er aber noch einmal deutlich stärker. Was zu dem Fazit führt: Es kann nicht schaden, genau – und über jeden Tellerrand hinweg – hinzuschauen!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

*Charts vom 17.2.2023, Chartquelle marketmaker pp4