John Neff
Seine Vorliebe für ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis
Ein Mann, der hier auf jeden Fall als Guru aufgelistet werden muss, ist John Neff, Gründer des größten Investmentfonds der neunziger Jahre: „The Vanguard Windsor Fund“. Er ist überall als sparsam und geduldig bekannt und besitzt eine außergewöhnliche Selbstdisziplin; ein Mann von der alten Schule.
Während viele Investoren heutzutage auf der Suche nach Luxus, Glamour und Spektakel sind, ist Neff sehr bodenständig geblieben. Er ist bereits seit 30 Jahren mit seiner Frau verheiratet, wohnt in einem nicht allzu großen Haus und hält an Routinen fest. So liest er zum Beispiel jeden Samstag (wo auch immer er sich gerade aufhält) gewissenhaft alle Wall Street Journals der vergangenen Woche durch, um so keine Wirtschaftsnachrichten zu verpassen.
John Neff befasst sich vor allem mit den eher unbeliebten Aktien. Eher unbeliebte Aktien sind häufig günstiger und Investoren haben eine niedrigere Erwartungshaltung. Hierdurch wirken sich schlechte Unternehmensnachrichten weniger stark auf den Aktienpreis aus (ausgenommen sind selbstverständlich Meldungen über einen bevorstehenden Bankrott!).
Er meidet daher sehr beliebte Aktien mit schnellen Wachstum. Bei diesen Aktien sind große Gewinnerwartungen im Preis bereits berücksichtigt, wodurch jede enttäuschende Nachricht einen enormen Preisrückgang zur Folge haben kann. Er wurde in seinem Grundsatz 2001, beim Platzen der Dotcom-Blase, bestätigt. Investoren verloren viel Geld, aber nicht John Neff. Er hatte seine Finger von diesem damals beliebten Sektor gelassen und blieb somit von der Verwüstung relativ verschont und behielt somit recht.
Neff beschäftigt sich also in erster Linie mit Aktien, die ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis haben. Aber wie beurteilt man, ob eine Aktie mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis tatsächlich kaufenswert ist? Um eine Aktie als interessant zum Kauf einzustufen, verwendet Neff seinen wirtschaftlichen Einblick, seine Hingabe und sein Können. Eigenschaften, die mit seiner Lebenserfahrung in Verbindung stehen.
Aus einer Unternehmerfamilie stammend, wurde John Neff 1931 geboren. Kurz nach seiner Geburt trennten sich seine Eltern. Die Familie wurde anschließend unter die Obhut von Neffs Großvater genommen, der der Familie durch die Depression der dreißiger Jahre verhalf. Er wurde erst 14 Jahre nach der Scheidung seiner Eltern wieder mit seinem Vater vereint, der ihm Arbeit in seinem soliden aber langweiligen Unternehmen von Schmiermitteln und sonstigen Autoteilen anbot. Hier lernte der junge John bereits direkt eine wertvolle Lebensweisheit: ein Unternehmen muss nicht glänzen, Beständigkeit ist viel wichtiger.
Auch seine Vorliebe für günstige Angebote wurde John in dieser Zeit vermittelt. Er begleitete seinen Vater regelmäßig bei Verhandlungen mit Lieferanten, um Rabatte auszuhandeln. Hierdurch konnte das Unternehmen der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sein und somit Goodwill bei seinen Kunden erzeugen, eine Win-win-Situation!
Erst als John begann bei Vanguard zu arbeiten, bekam er die Chance, seine Erfahrungen, seinen wirtschaftlichen Einblick, seine Hingabe und sein Können unter Beweis zu stellen. Er gründete seinen eigenen Fonds „Windsor Fund“ und managte diesen von 1964 bis 1995. 1995 ging John dann in Rente. In diesem langen Zeitraum hat sein Fonds durchschnittlich 13,7% Rendite eingebracht, womit der S&P um jährlich 3,1% in demselben Zeitraum übertroffen wurde. Dies ist eine besondere Leistung über eine solch lange Zeit hinweg. Dieser Erfolg hat Neff nicht nur zu einem der reichsten Investoren, sondern auch zu einer Legende auf der Wall Street gemacht. Sein Fonds war nicht umsonst oft die erste Wahl bei Kollegen und stand außerdem für gewöhnlich in Barrons Top 5 der besten Investmentfonds.
Ein Unterschied von 3,1% scheint auf den ersten Blick nicht übermäßig viel. Über einen Zeitraum von 30 Jahren erzielt eine anfängliche Investition von $10.000 beim Windsor Fund jedoch $564.000, während der S&P in derselben Zeitspanne nur $233.000 erbracht hätte; ein Unterschied von $331.000! Zinseszinsen sind ein mächtiges Instrument, erst recht über einen so langen Zeitraum hinweg. Schon Einstein – wer auch sonst – erkannte die enorme Relevanz. „Compound interest is the eighth wonder of the world. He who understands it, earns it…he who doesn’t…pays it,“ so einst der Professor.
Die Herangehensweise von Neff ist durchaus einfach. Unbeliebte Aktien, die in etwa ihre niedrigste Börsennotierung der vergangenen 52 Wochen haben, und Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis kommen in Betracht einer näheren Prüfung. Denn je niedriger das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist, desto weniger Gewinnwachstum erwarten Investoren von einem Unternehmen.
Oft sind bei Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis schlechte Nachrichten bereits im Aktienpreis einkalkuliert. Hierdurch verringert sich das Risiko bei einer Investition in diese Art von Unternehmen. Wenn die Entwicklung des Unternehmens dann auch noch glückt, kann die Aktie überaus schnell an Wert gewinnen, denn bei vielen dieser Betriebe sind nur wenig bis keine günstigen Entwicklungen im Aktienpreis einkalkuliert.
Passen Sie aber gut auf, nicht jede günstige Aktie ist kaufenswert. Man muss die Spreu vom Weizen trennen. Hierbei kommt Neff ins Spiel. Er schaut nach dem Gewinnwachstum der Aktie. Falls eine Aktie mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis jedoch ein Gewinnwachstum von 7% oder mehr erzielen kann, wird es für ihn schon ein Stück interessanter. Wird dieses Gewinnwachstum auch noch größtenteils durch Umsatzsteigerung erzeugt, dann wird es erst richtig spannend.
Neff richtet sein Interesse vor allem auf Betriebe, in denen von Wachstum gesprochen wird, dieses Wachstum jedoch nicht zu hoch liegt. Hohes Wachstum lässt sich nicht aufrechterhalten und die Folgen für den Aktienkurs sind immens, wenn sich herausstellt, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden können. Betriebe, bei denen der Gewinn schneller wächst als 20%, lässt Neff dann auch oft links liegen.
Auch der freie Cashflow, ein zunehmendes Wachstum und/oder eine ansehnliche Dividendenrendite sind wichtige Auswahlkriterien für Neff. Fast die Hälfte des 3,1 prozentigen Mehrwerts seines Windsor Funds im Vergleich zum S&P ist laut Neff der ‚gratis‘ Dividendenrendite zu verdanken. Dabei sieht Neff es auch nicht als problematisch, dass bestimmte Sektoren in seinem Portfolio überrepräsentiert sind. 1988 bestand sein Portfolio zum Beispiel zu 37% aus Finanzdienstleistern und zu 22% aus Automobilunternehmen.
Ebenso wie die meisten anderen Topinvestoren hält auch Neff an seiner Strategie fest, komme da was wolle. Um den Markt kümmert er sich dann auch herzlich wenig. Was Neff wohl beschäftigt, ist die Frage, wann man von einer Aktie Abschied nehmen sollte. Eine Frage, zu der es überraschend wenig Literatur gibt.
Laut Neff spielen hierbei Emotionen eine entscheidende Rolle. Viele Investoren klammern sich so sehr an eine gewinnbringende Aktie, dass sie zu lange an ihr festhalten, da sie befürchten, diese Aktie nicht mit maximalen Gewinn zu verkaufen. Ein Fall von Angst. Und Angst ist gerade eine Emotion, die (wie eigentlich jede Emotion) sowohl bei Kauf- als auch Verkaufsentscheidungen ausgeschaltet werden muss.
Unser Börsenguru John Neff sieht daher auch kein Problem darin, eine Aktie vor ihrem Höchststand abzutreten. Dieser ist oft durch Emotionen getrieben und der Fall danach kann viel gravierender sein. Das zeigte sich unter anderem während der Dotcom-Blase, die, wie bereits angemerkt, nahezu ganz an Neff vorbeigezogen ist. Er entwickelte ein Preisziel für die Aktien in seinem Portfolio, indem er auf Gewinnerwartungen und ein für ihn angemessenes Kurs-Gewinn-Verhältnis zurückgriff. Wurde das Ziel erreicht, dann verließ die Aktie das Portfolio, es sei denn die aktuellen Entwicklungen waren derart gut, dass neue, höhere Ziele gerechtfertigt waren. Das konnte allerdings nur erreicht werden, wenn in dem betreffenden Unternehmen etwas grundlegend verbessert wurde.