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Börse aktuell

Hier erfahren Sie, was an der Börse aktuell geschieht. Unser Börsenexperte Ronald Gehrt beobachtet täglich das aktuelle Börsengeschehen und fasst die neuesten Börsendaten und Börsenberichte wöchentlich für Sie zusammen. Mit Börse aktuell bringen wir die wichtigsten Börsennachrichten auf den Punkt und kommentieren, was momentan an der Börse los ist.

Börse: Aktuelle Nachrichten der Woche

Neues von der Börse: Unsere aktuellen Börsennachrichten informieren Sie jede Woche über die derzeitige Börsenentwicklung. Was beschäftigt die Börse? Was steht diese Woche an? Diktieren Bullen oder Bären die Märkte? Sollten Sie Ihre Investitionen erhöhen oder lieber Gewinne mitnehmen? Wir geben Ihnen die Antworten auf diese Fragen, wagen einen Ausblick auf die kommende Börsenwoche und bewerten anstehende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Börsenverlauf haben könnten.


Börse aktuell vom 08.-14.12.2025

Das Hindenburg Omen: Crash-Orakel oder Mummenschanz?

Von

08.12.2025 | 07:00 Uhr

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

In letzter Zeit taucht der Begriff „Hindenburg Omen“ öfter in Meldungen über die Aktienmärkte auf. Allein der Name klingt nach dunklen Wolken über den Kursen … und das soll auch so sein. Die Frage ist aber, ob dieses „Omen“ wirklich etwas taugt. Worum es sich hier handelt und wie man das „Hindenburg Omen“ aus meiner Sicht einordnen könnte, sehen wir uns in diesem Beitrag an.

Zunächst einmal ist diese Bezeichnung „Hindenburg Omen“ ein Kunstwort, d. h. diese Indikation, die vor einem nahen Crash warnen soll, leiht sich zwar den Bezug auf die Brandkatastrophe in Lakehurst 1937, als das deutsche Luftschiff Hindenburg Feuer fing und am Landemast abstürzte, aber das ist letztlich nur so, um der Sache einen dramatischen Namen zu geben. Weder hat die Sache an sich mit Zeppelin-Unglücken zu tun noch ist dieses Warnsignal damals, zum Zeitpunkt des Hindenburg-Unglücks, erstmalig aufgetaucht. Zu dieser Zeit gab es dazu nicht einmal die nötige Datenerfassung.

Diese Indikation ist auch noch nicht besonders alt, sie wurde von einem US-Mathematiker namens Jim Miekka vermutlich um die Jahrtausendwende entwickelt. Aber die entscheidende Frage ist, warum dieses „Omen“ regelmässig in den Börsenmedien auftaucht. Ist es, weil es oft entsteht und eine hohe Zuverlässigkeit hat … oder weil es so dramatisch klingt? Um der Sache gleich ein wenig die Spannung zu nehmen: Ich fürchte, es liegt an Letzterem. Um die Spannung aber ebenso hurtig wieder hochzufahren: Das heisst nicht, dass das Hindenburg Omen nichts taugen würde. Doch, das tut es. Man muss es nur richtig einzuordnen wissen.

Wie entsteht ein „Hindenburg Omen“: Die vier Komponenten dieser Indikation

Das Hindenburg Omen ist kein einzelner Indikator, sondern ergibt sich aus dem Eintreten von vier Bedingungen, die sich aus einzelnen, bereits zuvor existierenden Indikationen ableiten. Die da wären:

Erstens müssen die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs und die Zahl der neuen 52-Wochen-Tiefs am betreffenden Handelstag beide höher liegen als 2,8 Prozent der an der NYSE (der New York Stock Exchange) gelisteten Aktien.

Zweitens muss der 50-Tage-Durchschnitt der NYSE bzw. des die dort gelisteten Aktien erfassenden NYSE Composite Index steigen und der Index selbst höher notieren als vor 50 Tagen.

Drittens muss der McClellan-Oszillator fallen. Das ist eine Art MACD-Indikator, der die Dynamik der Veränderung der Differenz zwischen steigenden und fallenden Aktien an der NYSE abbildet. Damit zeigt er ein „softeres“, geglättetes Bild der Veränderung zwischen der Zahl steigender und fallender Aktien. Diesen Oszillator kann ich nicht mit meinen Charts abbilden, dazu kann meine Datenbank nicht die nötigen Berechnungen anstellen, aber Sie finden die Berechnungen bzw. den aktuellen Stand des Indikators hier: https://www.mcoscillator.com/market_breadth_data/. Aktuell fällt der Oszillator tatsächlich, diese Bedingung für ein Hindenburg Omen wäre also erfüllt.

Und Viertens darf die in Bedingung 1 bereits im Raum stehende Zahl neuer 52-Wochen-Hochs nicht mehr als doppelt so hoch sein wie die der neuen 52-Wochen-Tiefs.

Börse aktuell: Entwicklung NYSE Composite im Jahr 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung NYSE Composite im Jahr 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Haben wir aktuell ein Hindenburg Omen?

Klopft man diese vier Bedingungen ab und alle treffen zu, hat der entsprechende Handelstag ein Hindenburg Omen geliefert. Aber das wiederum wird nur zu einem gültigen Signal, wenn innerhalb von 36 Handelstagen ein weiteres Hindenburg Omen entsteht.

Aktuell steigt die 50-Tage-Linie des NYSE Composite, zugleich liegt der Index höher als vor 50 Tagen. Die 52-Wochen-Hochs und die 52-Wochen-Tiefs lagen am Freitag beide über der Schwelle von 2,8 Prozent der an der NYSE gelisteten Unternehmen. Der McClellan-Oszillator fiel. Aber Bedingung Nummer 4, die besagt, dass die Zahl der 52-Wochen-Hochs nicht mehr als doppelt so hoch sein darf wie die der 52-Wochen-Tiefs, ist NICHT erfüllt, denn sie ist beinahe dreimal so hoch (213 zu 72). Also: Nein, momentan gibt es kein Hindenburg Omen.

Warum diese Zusammensetzung wirr wirkt, es aber nicht ist

Gut, zugegeben, im ersten Moment wirkt das alles wie Hokuspokus. Das sind alles Indikationen, die man sich als normaler Anleger nie oder so gut wie nie anschaut. Und man könnte argwöhnen, dass das anders wäre, wenn sie wirklich taugliche Wegweisungen wären. Ausserdem wurde dieses „Omen“ deswegen von manchen so gepriesen, weil es den grossen Crash von 1987 vorhergesagt hätte. Wenn es das Hindenburg Omen damals schon gegeben hätte. Hat es aber nicht, daher ist dieser Treffer einer, der nur über einen Backtest ermittelbar ist. Und da liegt der Verdacht nahe, dass sich der Entwickler einfach ein paar Indikatoren zusammengemixt hat, die kurz vor dem 1987er Crash brenzlig aussahen und diese – für die Entwicklung von Signalen nicht korrekte – Arbeitsweise trotzdem als wegweisend pries.

Und warum es ausgerechnet 36 und nicht 30 oder 50 Tage sein sollen, in denen ein zweites Omen auftauchen muss und überhaupt, wieso es nach zwei Omen zu einem bärischen Warnsignal kommt und nicht schon nach einem oder erst nach drei: Das erschliesst sich mit Logik nicht.

Aber trotzdem ist diese Kombination aus vier absurd wirkenden Signalen alles andere als untauglich … wenn man sie als das nutzt, was sie ist: ein Hinweis bzw. Warnsignal. Ein Hindenburg Omen ist kein unmittelbares Verkaufssignal. Aber es war als solches auch nie angedacht worden.

Was diese Indikationen aussagen, wenn sie zusammen eintreten, ist: Mit der internen Struktur des Aktienmarkts stimmt was nicht. Denn was messen wir hier denn genau? Wir messen den „internen Gesundheitszustand“ des US-Aktienmarkts. Denken wir das mal durch:

Börse aktuell: Entwicklung Anzahl neuer Hochs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Anzahl neuer Hochs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Der Sinn hinter den vier Bedingungen

Wenn zugleich auffallend viele Aktien an der New York Stock Exchange neue Hochs und zugleich ebenso auffallend viele neue Tiefs ausbilden, ist das ziemlich ungewöhnlich und deutet an, dass die Marktbreite einer Aufwärtsbewegung zu klein wird. Einfach, weil zu viele Aktien bei einem steigenden Markt fallen. Was z.B. andeuten könnte, dass kaum oder kein frisches Kapital in den Markt fliesst, sondern Anleger schwache Aktien verkaufen, um auf den Zug der starken Titel aufspringen zu können, weil sie das sonst wegen einer bereits aufgebrauchten Barreserve nicht könnten.

Das wäre aber dann – zumindest noch – kein unmittelbares Warnsignal, wenn die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs sehr deutlich über der der neuen 52-Wochen-Tiefs läge, das ist der Sinn der Bedingung Nummer 4. Denn dann hätte der Markt noch genug „Aufwärts-Zugkraft“.

Da dieses Omen nur dann ein Warnsignal sein kann, wenn der Gesamtmarkt tatsächlich vom Trend her in einer Hausse ist, gilt ein Omen nur, wenn die 50-Tage-Linie des NYSE Composite Index steigt. Wobei der Index zusätzlich selbst über dem Kurs vor 50 Handelstagen liegen muss. Denn grundsätzlich könnte die Durchschnittslinie ja noch steigen, wenn der Index bereits unter sie gerutscht ist, dann wäre ein Omen aber nicht mehr gültig bzw. relevant, weil der Markt ja schon vorher begonnen hat, zu fallen.

Und ein fallender McClellan-Oszillator würde indizieren, dass nicht nur für ein paar wenige Tage, sondern schon eine Zeit lang mehr Aktien am Markt fallen als steigen. Das wirft einen Blick auf die Ratio steigender/fallender Aktien (Advance/Decline-Ratio), die man nur so erkennen kann, denn die neuen Hochs und Tiefs messen ja nur die extrem steigenden/fallenden Aktien, nicht die ganze Breite des Marktes. Insgesamt hätte man bei Eintreten eines solchen Hindenburg Omens also folgendes Bild:

Börse aktuell: Entwicklung Anzahl neuer Tiefs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Anzahl neuer Tiefs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Die Kernaussage des Hindenburg Omens und wie man damit umgehen könnte

Der Eindruck entsteht, dass der insgesamt, auf den Gesamtmarkt bezogen, noch intakt wirkende Anstieg in sich instabil geworden ist, weil immer weniger Aktien stark steigen, die Mehrheit der am Gesamtmarkt gelisteten Aktien aber bereits fällt und einige, siehe die relativ hohe Zahl an 52-Wochen-Tiefs, sogar schon stark. Und ja, das ist ganz und gar nicht gut. Aber nein, deswegen sofort auszusteigen, ergäbe keinen Sinn, denn:

So etwas kann ziemlich lange gutgehen. Aktuell zum Beispiel wird die Hausse des US-Aktienmarkts in der Tat nur von eher wenigen Aktien getragen, die dafür umso drastischer steigen. Dass diese Kurssteigerungen darüber hinaus auch auf einem „Hype“ (den in Sachen KI) basieren und extrem viel Geld in Investitionen und die Aktien der investierenden Unternehmen fliesst, ohne dass man sicher sein könnte, dass sich dieser monetäre Budenzauber am Ende wirklich auszahlt, macht die Sache nur noch brenzliger. Aber das läuft eben schon seit Monaten in dieser Intensität.

Also, ignorieren? Nein, das wäre aus meiner Sicht keine gute Idee. Nur sollte man eben erkennen: Nicht nach jedem doppelten Hindenburg-Omen (also einem, das binnen 36 Tagen von einem zweiten bestätigt wurde) kam in der Vergangenheit ein Crash oder auch nur eine grössere Korrektur. Aber anders herum sieht es anders aus: Wenn es zu grossen Korrekturen kam, waren sehr oft Hindenburg Omen davor aufgetaucht.

Also sollte man, wenn man ein solches Omen am US-Markt sieht, zumindest vorsichtiger werden. Das innere Ungleichgewicht ist dann da. Es muss sich nicht auswirken, aber es kann, also würde es nicht schaden, den Helm in diesem Fall ein wenig fester zu zurren. Für den faktischen Ausstieg aber gibt es ja genug andere, chart- und markttechnisch basierte Indikationen wie gleitende Durchschnitte, Trendlinien oder Trendwendeformationen. Aber als unmittelbares Ausstiegssignal war diese Indikation mit diesem theatralischen Namen auch nie gedacht, es wirkt auf viele nur so. Eben dieses Namens wegen.

Übrigens: Bei uns ist diese Methodik schwieriger einsetzbar, einfach, weil wir zwar auch einen „Composite Index“ in Form des derzeit etwa 340 Titel umfassenden CDAX haben, für den aber Daten wie neue 52 Wochen-Hochs und 52-Wochen-Tiefs oder ein McClellan Oszillator nicht so leicht zu bekommen sind wie für den NYSE Composite Index. Aber solange die US-Märkte ihre Rolle als Taktgeber der Weltbörsen beibehalten, ist es als Warnhinweis allemal ausreichend zu wissen, dass es jenseits des Atlantiks gerade zu einem Hindenburg Omen kam.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Der Inhalt dieses Artikels wurde erstellt am 06.12.2025 um 21:42 Uhr. Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

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Börse aktuell: DAX, Dow Jones und Co.

Die heutigen Top-News und Börsenmeldungen zum DAX und der Börse USA mit dem Dow Jones, dem Nasdaq und dem S&P 500 als weltweit einflussreiche Indizes bilden einen Schwerpunkt unserer aktuellen Berichterstattung von der Börse. Auch gute Aktien, die momentan sehr stark im Fokus der Anleger stehen und steigende Börsenkurse prophezeien, werden wir Ihnen hier vorstellen. So bekommen Sie einen umfassenden Börsenausblick und können Ihre eigenen Börsenprognosen verifizieren oder falsifizieren.

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Börse aktuell: Die letzten Nachrichten

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Der Inhalt dieses Artikels wurde erstellt am 28.11.2025 um 9:34 Uhr. Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Die Börse ist bisweilen kompliziert. Daher stehen Faustregeln seit jeher hoch im Kurs, so lebt es sich als Anleger einfacher … aber auch gefährlicher. Denn dass aus X immer Y folgt, ist eben ein Irrtum. Genauso verhält es sich mit der beliebten und dieser Tage wieder hoch im Kurs stehenden Faustregel, dass Leitzinssenkungen für Konjunktur und Aktienkurse immer bullisch seien. Das sind sie in der Tat bisweilen. Aber keineswegs immer.

In der vergangenen Woche starteten die US-Aktienindizes nach einer Konsolidierungsphase auf einmal so richtig durch. Zwei Argumente wurden dafür herumgereicht. Zum einen die Statistik, nach der die Indizes in der Thanksgiving-Woche in über zwei Drittel der Jahre Kursgewinne erzielen. Was man auf „patriotische Gedanken“ und „gute Feiertagslaune“ zurückführt, letzten Endes aber, nachdem man das Jahr für Jahr in die Ohren geblasen bekommt, mehr eine „self fullfilling prophecy“ ist. Und eine, die flüchtig ist, denn was ist jetzt, nach der Kaufwelle und eben nach Thanksgiving?

Da springt dann hilfreich die Nummer zwei der Argumente ein: Die Chance, dass die US-Notenbank doch schon in ihrer kommenden Sitzung am 10. Dezember erneut und dann in der dritten Sitzung in Folge den Leitzins senkt, sei gestiegen. Primär verbindet man das mit Aussagen einiger Mitglieder des Entscheidungsgremiums der „Fed“, des FOMC (Federal Open Market Committee). Aber dass diese Notenbanker „weich“ werden, obgleich es wegen des Shutdowns massiv an aktuellen Daten mangelt, ist der zweite, der dahinterstehende Grund:

Es scheint, der Arbeitsmarkt wackelt erheblich. Und es scheint zudem, als würden die US-Verbraucher langsam nervös und würden, wo noch vorhanden, ihr Geld zusammenhalten. Schlecht für das Wachstum. Gefährlich sogar. Und da sind Leitzinssenkungen eben das Allheilmittel, so die Mär.

Sinkende Leitzinsen sind immer gut für Aktien? Stimmt nicht.

Denn niedrigere Leitzinsen bedeuten niedrigere Kreditzinsen. Und zu billigeren Zinsen werden Unternehmen mehr investieren, Verbraucher mehr Kredite für Anschaffungen aufnehmen und ruckzuck läuft wieder alles rund. Folgerichtig kauft man da am Aktienmarkt schon mal vor, das Wachstum kommt dann schon in Kürze von alleine und rechtfertigt die höheren Kurse nachträglich. So einfach ist das also?

Börse aktuell: Entwicklung Leitzins und BIP der USA im Vergleich von 1977 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Leitzins und BIP der USA im Vergleich von 1977 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Nein, so einfach ist das eben nicht. Weder springt das Wirtschaftswachstum automatisch an, wenn die Leitzinsen sinken, wie die vorstehende Grafik zeigt. Noch muss der Aktienmarkt im Zuge einer Zinssenkungsphase steigen, wie Sie im unten folgenden Chart sehen können. Denn es kommt ganz entscheidend darauf an, warum die Leitzinsen gesenkt werden und in welchem Gesamtumfeld sich Konjunktur und Aktienmarkt bewegen. Und wenn man das erst einmal weiss, versteht man umgehend: Mit einer simplen Faustregel kommt man da nicht weit, sondern geht im Zweifelsfall vor die Hunde.

Die zwei gegensätzlichen Basis-Szenarien bei sinkenden Leitzinsen

Im Idealfall, das ist Szenario 1, senkt die Notenbank die Leitzinsen, weil sie es kann. Das Wachstum ist solide, aber nicht überschäumend. Die Inflation bewegt sich im Bereich der Zielzone oder leicht darunter. Zuvor höhere Zinsen sind daher nicht mehr nötig, weil der Preisauftrieb, den man damit bremsen oder ihm zuvorkommen wollte, nicht da ist. Das ist ein Umfeld, das man gerne als Goldilocks-Szenario bezeichnet: Ein perfekter Rahmen für steigende Aktienkurse.

Szenario 2 ist das aber ganz und gar nicht. Hier senkt die Notenbank den Leitzins, weil sie es muss. Sie muss es tun, weil sie ein wegbrechendes Wachstum bzw. einen schwachen Arbeitsmarkt stützen will. Im Gegensatz zur EZB hat die US-Notenbank ja unter anderem auch die Schaffung eines günstigen Umfelds für Vollbeschäftigung (und damit im Prinzip für Wachstum) im Pflichtenheft stehen. Und wenn man mit Leitzinssenkungen versuchen muss, ein abschmierendes Wachstum aufzufangen, stellt sich die Bedeutung für den Aktienmarkt komplett anders dar als bei Szenario 1.

Börse aktuell: Entwicklung Leitzins der USA und Dow Jones im Vergleich von 1971 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Leitzins der USA und Dow Jones im Vergleich von 1971 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Denn dann sind sinkende Leitzinsen kein „Bonbon“, das ein intaktes Wachstum stabilisieren und/oder intensivieren kann, sondern der Versuch, ein negatives Umfeld entweder zu verhindern oder, wenn das Kind schon im Brunnen liegt, umzukehren. Wobei dann auch immer die Frage im Raum steht: Was ist da möglich? Denn nur, wenn ein nachlassendes Wachstum nicht dummerweise zugleich Inflation mit sich bringt, sprich keine Stagflation eingetreten ist, kann die Notenbank überhaupt grosse Zinssenkungen vornehmen. Ansonsten würde man das Wachstum auf Kosten schneller steigender Preise stützen und damit gleich vor dem nächsten Problem stehen, das dann wiederum, so wie 2022, schnell steigende Zinsen erfordern würde.

Bullisch wären Zinssenkungen der „Fed“ für den US-Aktienmarkt daher nur, wenn a) die Lage dergestalt ist, dass man sich Zinssenkungen leisten kann, aber nicht wegen „Not am Mann“ vornehmen muss und b) der Aktienmarkt nicht in einer Situation wäre, in der auch niedrigere Zinsen die Abwärtsrisiken nicht mindern würden. Wo stehen wir da gerade?

Wo stehen wir aktuell, welches Szenario gilt gerade?

Ja, wo stehen wir? Genau das ist der Punkt, der eine Einordnung sinkender Zinsen zumindest im Moment fast unmöglich macht. Denn bedingt durch den Shutdown fehlen entscheidende Daten, zur Inflation ebenso wie zum Arbeitsmarkt. Was wir haben, sind private Datenerhebungen und Stimmungsbilder. Aber die sehen eher so aus, als sei Szenario 2 eher zutreffend, also das, in dem die US-Notenbank stützen muss, damit die US-Konjunktur nicht wegrutscht.

Denn die jüngsten Daten zum US-Verbrauchervertrauen zeigen zum einen, dass die gefühlte Inflation mit 4,5 bis 4,8 Prozent, je nach Datenquelle, sehr hoch ist und die Konsumenten ihr Geld zusammenhalten, weil eine steigende Zahl an US-Haushalten ihre finanzielle Situation und deren Perspektive als schlecht ansehen. Und privat ermittelte Daten bzw. Schätzungen zum US-Arbeitsmarkt zeigen zugleich, dass der Oktober womöglich sogar einen Stellenabbau mit sich brachte, über den November weiss man ja noch überhaupt nichts. Auch die Zahl der angekündigten Entlassungen ist gestiegen, auch das ist ein Warnsignal.

Zum einen hiesse das: Wer sich jetzt darüber freut, dass die „Fed“ am 10. Dezember womöglich erneut den Leitzins senkt, freut sich darüber, dass die Feuerwehr kommt und hat kein Problem damit, dass die anrücken muss, weil das eigene Haus in Flammen steht. Zum anderen hiesse diese vorgenannte Gemengelage, dass ein Inflationsrisiko herrscht, das die US-Notenbank beim Löschen des konjunkturellen Feuers bremst. Und das ist, alles in allem, eben eher nicht bullisch, zumal:

Es ist ja nicht so, dass der US-Aktienmarkt gerade, so wie Ende 2023, als nach der kräftigen Anhebung wegen der Inflationsphase die ersten Zinssenkungen kamen, einen längeren Abstieg hinter sich hat. Es ist auch nicht so, dass die US-Aktienmärkte niedrig bewertet oder gar unterbewertet wären. Das Gegenteil ist der Fall. Und noch ein Aspekt wird, wenn man mit dieser Zinssenkungs-Faustregel hantiert, immer ignoriert:

Wenn Unternehmen und Verbraucher wissen, dass die Leitzinsen und in deren Schlepptau die Kreditzinsen sinken, werden sie, wo irgend möglich, abwarten, bis der Boden erreicht ist. Warum einen Zins von z.B. fünf Prozent für einen Ratenkredit bezahlen, wenn man darauf hoffen darf, dass der in einem halben oder ganzen Jahr nur noch bei vier Prozent liegt? Was bedeutet: Ein die Konjunktur wirklich stützender bzw. belebender Effekt kommt nicht nach den ersten kleinen Zinssenkungen, sondern am Ende des Senkungszyklus. Und der würde, sofern die „Fed“ nicht durch zu stark steigende Preise gebremst werden sollte, noch ein gutes Stück in der Zukunft liegen. Fazit:

Zinssenkungs-Rallyes sind oft auf Sand gebaut, aber …

Es ist gut möglich, dass die Käufer in Bezug auf die bullische Wirkung sinkender Leitzinsen in diesem derzeitigen Umfeld auf Sand bauen. Aber daraus zu folgern, dass man da wegbleiben muss oder gar sorglos auf die Short-Seite setzen kann, weil das Kartenhaus über kurz oder lang zusammenbricht, wäre ein Fehler, denn:

Ja, in einem Umfeld eines KI-Hypes, einer fehlenden Marktbreite der Hausse, problematischer Zölle und einer unberechenbaren politischen Landschaft wird das Kartenhaus wohl zusammenbrechen. Aber bei „über kurz oder lang“ kann trotzdem „lang“ richtig sein. Denn die Kurse steigen ja nicht entlang der Fakten, sondern sie werden davon getrieben, was die Käufer als real und richtig ansehen wollen. Wichtig ist nur, zu erkennen, dass Zinssenkungen nicht automatisch bullisch sind, um gewappnet zu sein. Denn wer das weiss, folgt zwar dem Trend und verdient an ihm, solange er hält, verliert dabei aber nie den Notausgang aus den Augen, über dessen Lage vermutliche viele bislang nicht einmal nachdenken!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Der Inhalt dieses Artikels wurde erstellt am 23.11.2025 um 19:00 Uhr. Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Dass der Aktienmarkt eher selten ein taugliches Spiegelbild der wirtschaftlichen Realität ist, wissen viele, aber längst nicht alle. Aber selbst, wenn das allen klar wäre, würde sich kein Gleichlauf von Fakten und Kursen einstellen. Weil die, die die Kurse „machen“, nun einmal Menschen sind. Ein kleiner Ausflug in die Denkweise der vielzitierten „Herde“ im Zyklus der Börsentrends.

Wenn man sich wie ich tagtäglich mit Nachrichten, Konjunkturdaten und Bilanzen befasst und das mit dem abgleicht, was am Aktienmarkt passiert, kommt man regelmässig zu ein und demselben Ergebnis: Die spinnen, die Trader.

Aber würde man an diesem Punkt aufhören und einfach festhalten, dass das Kursgeschehen unlogisch ist, hätte man letztlich nichts verstanden. Denn hinter all der Irrationalität steckt durchaus eine Art Systematik. Eine, die sich zu wiederholen pflegt und deswegen hilft, zu verstehen, was passiert. Und nur, wer weiss, warum etwas passiert, kann damit umgehen, statt unterzugehen.

Die Zyklen der Börse, übersetzt in die Denkweise der „Masse“

Nicht alle denken immer das gleiche, völlig klar. Aber das ist auch nicht entscheidend. Für die Trendrichtung ist relevant, was die Mehrheit der Anleger denkt und tut. Und da gibt es, bei aller Individualität des Einzelnen, eben doch Strömungen, die denen einer „Herde“ gleichkommen.

Da ein kompletter Börsenzyklus vom Tief zum Hoch zurück zum nächsten Tief führt und der letzte, komplette, grosse Zyklus auf mittel- bis langfristiger Ebene schon ein Weilchen zurückliegt, nutze ich diesen letzten grossen „Umlauf“ der Jahre 2003 bis 2009, um im Folgenden die einzelnen Phasen zu beschreiben, indem ich nicht mit „Boom“ oder „Baisse“, sondern mit den Begriffen arbeite, die das vorherrschende Denken der Akteure beschreiben sollen.

Letztlich bewegt sich die Marktstimmung immer zwischen Skepsis, völliger Sicherheit über eine Situation und der Verweigerung, deren Veränderung zu akzeptieren, hin und her. Wie lief das 2003-2009 konkret ab?

Der Zyklus 2003 bis 2009 – ein perfektes Beispiel

Nachdem der komplette Zyklus 1998 bis Anfang 2003 beendet war und viele am Tief der Baisse allgemeine Resignation und Wut auf diese bösartige Börse empfanden, begegnete man der 2003 aufkommenden Aufwärtsbewegung zunächst mit einem „na, ich weiss nicht recht“, gepaart mit einem „das geht ja sowieso wieder schief“. 2004 passierte beim DAX, den wir im folgenden Chart als Beispiel nutzen, nahezu gar nichts. Als die Kurse dann aber 2005 ansprangen, war schon genug Zeit seit der letzten, persönlichen Bauchlandung vergangen und der Index weit genug vom alten Tief entfernt, dass die ersten sich sagten: Da sollte, ja muss man doch dabei sein! Es folgte zwar ein heftiger Schreckmoment durch den kurzzeitigen Einbruch 2006. Aber als der schnell aufgeholt wurde, sah die „Herde“ das als Beweis dafür, dass das Geld wieder auf der Strasse liegt und legte so richtig los: „All in“, rein mit allem, was da ist. Und dann war das Hoch erreicht. Was aber damals natürlich noch niemand wissen könnte.

Börse aktuell: Entwicklung DAX von 2003 bis 2009 - Stimmungen eines Börsenzyklus | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX von 2003 bis 2009 – Stimmungen eines Börsenzyklus | Quelle: marketmaker pp4

Diese Phase 2007 war besonders interessant. Denn natürlich begann man sich zu wundern, warum da nichts mehr vorangeht. Und wer es wissen wollte, konnte da längst wissen, dass der US-Immobilienmarkt eine Blase gebildet hatte, die zu platzen drohte bzw. im weiteren Verlauf 2007 schon massive Risse bekam. Die einen nahmen ihre Gewinne mit, weil ihnen die Sache zu heiss wurde, die anderen kauften in jeden Rücksetzer, weil sie die Fakten einfach nicht sehen wollten. Das Ergebnis war ein hektisches Auf und Ab ohne Raumgewinn.

2008 aber war dann auf einmal nur noch „Ab“ angesagt. Sehr viele, und das ist an diesem Zeitpunkt des Zyklus immer dasselbe, wollten sich mit einem Ende der schönen Hausse aber nicht abfinden und sperrten ihre Wahrnehmung konsequent für „bad news“. Und nach einem ersten Abwärtsimpuls gelang denen, die alles nur als Rücksetzer vor dem nächsten Rekordhoch ansehen wollten, auch eine Gegenoffensive, die sie in ihrem „nein, meine Fakten seh‘ ich nicht“-Denken bestätigte. Das indes hielt nicht, wie wir im Chart sehen. Und wie meistens, wenn einem das Kartenhaus einer eingebildeten, weil auf die eigenen Wünsche zurechtgebogenen Realität zusammenbricht, schlug die Stimmung der „Herde“ dann sehr abrupt und extrem um. Da wird man dann nicht besonnen und vorsichtig, sondern die Angst lenkt die Entscheidungen … bis hin zu blanker Panik.

Am Ende steht die Wut auf die Börse, die (man selbst ja nie) an allen Verlusten schuld ist und ein „nie wieder“. Bis der Zyklus von vorne beginnt. Wobei die, die die meisten und grössten Fehler begangen haben, dann auch am längsten misstrauisch bleiben und deshalb auch beim nächsten Mal erst wieder anfangen zu kaufen, wenn die besonnenen, fachkundigen Anleger bereits über den Ausstieg nachdenken.  

Wo stehen wir an der Börse aktuell?

Diese Zyklen in ein Zeitraster pressen zu wollen, halte ich persönlich nicht für zielführend. Das Denken und Handeln der Menschen verändert sich zwar, aber das läuft nicht nach dem Kalender ab. Ebenso wenig liesse sich eine Grössenordnung für Hausse und Baisse in Prozent vorhersagen. Es gab kürzere und kleinere Zyklen, ich denke da an Herbst 2014 bis Frühjahr 2016 oder an Frühjahr 2020 bis Herbst 2022. Und die waren auch nicht so gewaltig dimensioniert. So gesehen wäre es absurd, sich zu fragen: Wenn es jetzt abwärts geht, wo und wann wird dann das Tief auftauchen?

Es geht weder bei einer Aufwärts- noch bei einer Abwärtswende darum, wie weit die am Ende führen wird. Es geht einzig und allein darum, die Wende zu realisieren und sich dafür von irgendwelchen kleinen Männern im Ohr, die einem auf emotionaler Ebene Unvernünftiges raten, zu befreien. Diejenigen, die Probleme haben, sich von einer eingefahrenen Meinung zu lösen, werden in den darauffolgenden Phasen die Verlierer sein. Zu lange Skepsis wegen eigener Fehler nebst Bauchlandung in der Phase zuvor bei einer Aufwärtswende: nicht gut. Zu lange festhalten an dem eigenen Wunsch, die Kurse seien eine Einbahnstrasse zu immer neuen Rekorden: auch nicht gut.

Börse aktuell: Entwicklung DAX von 2022 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX von 2022 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Momentan würde ich meinen, bewegen wir uns irgendwo am Ende oder kurz nach der „Warum geht da nichts“-Phase am Übergang zur „Nein, ich will das nicht“-Zone. Zu der Phase also, in der ein grosser Anteil an Marktteilnehmern sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehrt, kritische Rahmenbedingungen und bärische Signale im Chartbild zur Kenntnis zu nehmen und weiter so agiert, als wäre jeder Rücksetzer eine Kaufgelegenheit, wie es bei einer noch intakten Hausse der Fall wäre.

Wie lange diese Phase der Verweigerung andauern wird, ist, wie gesagt, nicht vorhersagbar. Aber von erfolgversprechend wirkenden Gegenbewegungen, die in solchen Phase oft auftauchen, abgesehen, geht es letzten Endes eben unweigerlich in die nächste Phase des Zyklus über: in den Teil, in dem die Kurse kräftig unter Druck stehen, in dem das vorherige Suppenkasper-Verhalten gegenüber den Fakten in Angst umschlägt.

Individuelle Zyklen in einzelnen Aktien & Branchen

Ein Aspekt, den man im Hinterkopf haben sollte: Keineswegs alle Aktien bewegen sich mit dem „Mainstream“ des Gesamtmarkts. Hier finden sich immer auch individuelle Zyklen, die zwar oft den Zyklus-Strukturen des Gesamtmarkts ähneln oder sogar gleichen, aber zeitversetzt sind. Als ein aktuelles Beispiel könnte die Nemetschek-Aktie dienen:

Börse aktuell: Entwicklung Nemetschek von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Nemetschek von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Sie gehörte zu den grossen Überfliegern des kurzen Zyklus zwischen Frühjahr 2020 und Herbst 2022. Aktien, die einen zwar, weil die ganze Hausse am Ende dahin war, enttäuscht haben, aber mit denen man schon richtig gut Geld verdienen konnte, stehen schnell wieder im Rampenlicht. Entsprechend überproportional stieg Nemetschek bis zum Sommer, hat dann aber die „warum geht es nicht weiter“ und „ich will die Fakten nicht“-Phasen ausgelassen. Ein Grund kann sein: Der drastische Abstieg des Jahres 2022 ist vielen noch so präsent, dass sie eine Aktie wie diese schneller fallenlassen als ihr Aktien-Portfolio in seiner Gesamtheit.

Ein anderes Beispiel für einen zum Gesamtmarkt abweichenden Zyklus-Verlauf wären „Fallen Angels“, die man gerade zu Hoffnungsträgern der Bullen macht, ein Beispiel hierfür wäre SMA Solar:

Börse aktuell: Entwicklung SMA Solar von 2019 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung SMA Solar von 2019 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

SMA Solar ist aus dem übergeordneten Zyklus des Aktienmarkts komplett ausgebrochen, als die Aktie ab Mitte 2023 dramatisch fiel, während der Gesamtmarkt weiter stieg. Damit hatten wir hier bereits ein Zyklus-Ende mit einer Total-Resignation Ende 2024/Anfang 2025 und die Basis für einen „Neuanfang“ ausserhalb der Gesamtmarkt-Trends. Es scheint, als seien wir hier bereits aus der „na, ich weiss nicht recht“-Phase in die „da muss man dabei sein“-Phase eingetreten. Es könnte gut sein, dass bullische Anleger hier eine Art „Ausgleichsventil“ für den wackliger werdenden Gesamtmarkt finden, an dem sie die (solange es läuft) so wohltuende Goldgräber-Stimmung ausleben können.

Fazit: Ein bisschen in die Köpfe schauen geht also doch

Kursimpulse basieren darauf, dass sich unter den aktiv handelnden Marktteilnehmern eine Mehrheit auf der Käufer- oder der Verkäufer-Seite findet. Wenn man sich überlegt, dass man selbst normalerweise durch eine längere Überlegungsphase oder durch unerwartete Nachrichten, die die eigene Sicht auf die Dinge verändern, zu einem Entschluss kommt, wird schnell klar: Man kann unmöglich vorhersagen, was die Masse der Akteure in einer Woche, einem Monat oder auch nur morgen Früh denken wird und ob und wie sie das dann in Orders umsetzt.

Aber löst man sich von diesem Wunsch, heute am Morgen wissen zu wollen, wo DAX, Dow & Co. am Abend schliessen werden und verlegt sich auf übergeordnete Zeitspannen, sieht das schon anders aus. Dieser Wechsel von einem vorherrschenden Gedanken zum nächsten vollzieht sich in beeindruckender Regelmässigkeit. Nie in genaue zeitliche und prozentuale Rahmen pressbar, das ist klar, aber:

Wenn man erst einmal akzeptiert hat, dass es nicht funktionieren kann zu wissen, wo Tief und Hoch eines Zyklus liegen, um die dann punktgenau zu erwischen, versteht man schnell, dass es darauf eigentlich auch gar nicht ankommt. Entscheidend ist zu erkennen, wann der Boden für die eigene Depotausrichtung heiss wird, und man beginnen sollte, sein bisheriges Denken zu überprüfen. Das ist nichts, das an einem Tag erledigt sein muss. Wichtig ist nur, dass man weiss, dass ein steter Blick nach links und rechts zwingend erforderlich ist, will man nicht zu denen gehören, die am Ende eines Zyklus über die „böse Börse“ schimpfen.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.