Immer wieder erlebt man an der Börse, dass eine Aktie jahrelang steigt, in aller Munde ist und am Ende in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Das passiert nicht allzu oft. Aber wenn, endet das für viele Anleger fatal. Es wirkt, als habe sich ein gewaltiger Irrtum schlimm ausgewirkt. Aber das muss niemanden passieren … sofern man die tatsächliche Quelle des Irrtums findet.
Es war schon immer so und es wird vermutlich auch nie anders: Ich begegne immer wieder Anlegerdepots, die eigentlich gut aufgestellt sind und solide Gewinne abwerfen würden, wären da nicht neben zahlreichen gut performenden Aktien auch einige „Depotleichen“, die die Gesamtperformance bremsen oder sogar ins Negative verkehren. Und man bekommt, wenn man die Depot-Besitzer darauf anspricht, immer die gleichen Antworten zu hören:
„Die haben in dem Unternehmen echt Mist gebaut“ … „diese sch… Shortseller machen die Aktie komplett nieder“ … „das konnte ja keiner ahnen“ und, eigentlich immer dabei: „Jetzt lohnt es sich ja auch nicht mehr, da auszusteigen“. Was oft auch stimmt. Aber die eigentliche Frage ist ja nicht, ob man noch aussteigen sollte, wenn das Kind im Brunnen liegt, sondern warum man es nicht getan hat, bevor es überhaupt in den Brunnen fiel. Denn um das gleich voranzustellen:
Irren ist unumgänglich. Irrtümer zu ignorieren, ist das Problem
Irren darf man sich, das ist an der Börse letzten Endes sogar unvermeidlich. Schliesslich kann man nie wissen, die die Rahmenbedingungen in ein, zwei oder zehn Jahren aussehen werden. Wer kauft oder verkauft, tut das an der Börse immer in einem Umfeld der Unsicherheit. Die Probleme entstehen nicht, weil man sich geirrt hat. Sondern nur dann, wenn man das verdrängt oder stur darauf beharrt, recht zu haben, obwohl die Fakten das Gegenteil darlegen. Das Problem wird erst deshalb gross, weil man es als Anleger zugelassen hat. Dann wird aus einem jederzeit möglichen Irrtum ein grosser Irrtum.

Sie sehen es ja in den diesen Beitrag begleitenden Charts: Keine Aktie, kein Index und auch nicht der ganz unten abgebildete Ölpreis (der zeigen soll, dass sich so etwas keineswegs auf den Aktienmarkt beschränkt), fielen über Nacht von 100 auf 0. Man hätte etwas tun können. Aber ich wage aufgrund dessen, was ich so über die letzten Jahrzehnte erlebt habe zu behaupten: Nicht nur relativ viele reagieren nicht, wenn sie es müssten, sondern die meisten. Die Frage ist, warum das so ist.
Hierzu heute ein paar Gedanken und Vermutungen, die vielleicht hilfreich sind. Denn meiner Erfahrung nach sind grosse Verluste fast immer das Ergebnis eines von den Kursen losgelösten Irrtums … nämlich dem, dass sich das alles schon wieder von alleine einrenkt, ohne dass man selbst Entscheidungen treffen müsste. Das passiert vielen, da schliesse ich mich selbst durchaus mit ein. Und das muss einfach nicht sein.

Man muss keine Bilanzen lesen können, aber man muss verstehen, wie die Börse „tickt“
Es gibt ein paar Gründe, warum Anleger an Aktien festhalten, die auf einmal ganz und gar nicht so laufen, wie sie sich das zuvor beim Einstieg ausgemalt hatten. Dabei ist mangelndes Fach- bzw. sogar Börsen-Grundwissen zwar auch eine Ursache, aber nicht entscheidend für das Verlust-Drama an sich. Denn um zu erkennen, ob gerade ein Trend gebrochen ist, muss ich nicht imstande sein, die Bilanz des betroffenen Unternehmens genau unter die Lupe zu nehmen.
Aber zu verstehen, wie die Börse grundsätzlich funktioniert, warum Kurse steigen oder fallen, wie die „Mechanik“ dieser Kursbewegungen aussieht, das ist wichtig. Und zwar, weil man dann erst wirklich versteht, wie es kommen kann, dass eine Aktie (oder auch ein Index) jahrelang steigen, dann abrupt kehrtmachen und alles, was zuvor an Kursgewinn entstand, am Ende dahin ist. Will heissen:
Man muss realisieren, dass die Kurse von den Entscheidungen der Anleger bewegt werden und diese oft nicht mit der Faktenlage übereinstimmen. Und dass die anderen genauso denken und handeln wie man selbst. Dass man, wenn man leichtsinnig agiert, oft gerade deswegen erst einmal lange Zeit nicht bestraft wird, weil so viele andere genauso leichtsinnig handeln und es genau das ist, was die Kurse erst einmal immer höher treibt. Aber Risiken gehen dadurch nicht weg. Und das ist am Ende eben das Problem, wenn viele andere erkennen, dass die Hütte brennt und man selbst nicht reagiert.
Wer sich nicht auskennt, folgt einfach der Herde. Und solange das gutgeht, kommt man gar nicht auf die Idee, sein eigenes Tun zu hinterfragen und/oder hinter Vorhänge zu schauen. Und man kommt auch nicht auf die Idee, lieber mal Gewinne mitzunehmen oder ganz auszusteigen. Weil es doch so gut läuft. Weil alle sagen, dass es so weitergehen wird (despektierlich formuliert ist das das Muhen der Herde). Und weil, solange man durch Kursgewinne belohnt wird, die Gier die Vernunft überlagert. Was man aber normalerweise nicht merkt, weil man den Erfolg nicht dem Effekt der Herde, sondern der eigenen Cleverness zuordnet.

Umdenken ist gar nicht so nicht leicht, Verluste zu realisieren auch nicht
Hinzu kommt, dass Umdenken aufwändig und gar nicht so einfach ist. Eine einmal gefasste Meinung ist für uns so lange richtig, wie sie scheinbar bestätigt wird. Anders ausgedrückt: Die Titanic galt so lange als unsinkbar, bis sie auf einmal doch sank. Und man weiss, dass viele dort erst einmal nicht reagierten und das mit dem Leben bezahlten, weil sie sicher waren, dass nicht ist, was nicht sein darf. Es ist am Aktienmarkt kaum anders. Und gerade an der Börse kostet das Umdenken und Hinterfragen Zeit, denn die Gemengelage ändert sich stetig. Man will aber nicht andauernd seine Sicht der Dinge und mit ihr seine Depotzusammensetzung anpassen. Also?
Also hält man, was man hat und denkt sich „Augen zu und durch“ bei den Positionen, die gerade nach unten abdrehen. Auch, weil man glaubt, dass der Rest des Depots die paar „Depotleichen“ schon kompensieren wird. Und weil man hofft, dass diese Leichen schon bald wieder drehen werden, so dass man ja dumm wäre, wollte man jetzt verkaufen, nachdem eine Aktie 30, 40 Prozent vom Hoch verloren hat (was sie in Bezug auf das eigene Depot verloren hat, weil man nicht reagierte, als man hätte reagieren sollen). Denn wenn sie dann wieder steigt, wäre man ja der Angeschmierte.

Grosse Irrtümer an der Börse werden nur zu grossen Niederlagen, wenn man sich über sich selbst irrt, weil man sich etwas vormacht. Und nicht, weil das Schicksal über Nacht zuschlug oder andere etwas wussten, was vor einem selbst geheim gehalten wurde. Aber, so könne man einwenden: Was bringt es, sich stetig zu hinterfragen, wenn Entscheidungen an der Börse trotzdem immer unter Unsicherheit erfolgen und man damit nie weiss, ob ein Umdenken am Ende zum Erfolg führt oder sich nicht eben doch alles von selbst einrenkt?
Und ausserdem, so liesse sich darüber hinaus kritisieren, sind doch Stoppkurse nie sicher. Da wird man ausgestoppt und schwupp, zieht der Kurs wieder in die andere Richtung und man ist aus dem Rennen oder muss viel teurer zurückkaufen. Und auch die Charttechnik ist ja nicht hundertprozentig zuverlässig, wie oft gibt es da Bullen- und Bärenfallen! Warum also nicht mit „buy & hold“ weitermachen und hoffen, dass mehr Dauer-Hausse-Aktien im Depot liegen als Leichen?
Wer sich von Verlusten befreit, kann erheblich neutralere Entscheidungen treffen
Weil man, wenn man sich einer unangenehmen Reaktion verweigert (und Verluste zu realisieren ist nun einmal unschöner als sie einfach auszublenden), entscheidend an Performance verliert. Eine richtige, brutale Baisse in einem Kurs ist erst dann sicher, wenn sie bereits stattgefunden hat. Wer ein paarmal unglücklich ausgestoppt wird, weil ein Kurs überraschend doch wieder anzieht, hat es zwar mühsamer. Aber dann ist man erst einmal neutral, ist freier in seiner Entscheidung, weil man nicht durch seine bestehende, gerade in Bedrängnis geratene Position im Denken korrumpiert wird. Und vor allem:

Einen Verlust zu akzeptieren und ihn damit einzugrenzen, verhindert das Schlimmste, was ein Anleger tun kann … und was so viele auch tatsächlich tun: Es verhindert die sogenannte „Einstandsverbilligung“. Ein Wort, das etwas Fatales genauso verharmlost wie z.B. das Wort „Minuswachstum“. Wer konsequent verkauft, wenn ein Trend bricht, kommt gar nicht in die Versuchung, in fallende Kurse hinein eine Verlustposition immer weiter zu vergrössern, indem man immer wieder zukauft. Ja, wenn der Kurs danach sofort dynamisch dreht, hätte sich das gerechnet. Aber es ist nun einmal nicht gerade vernünftig, zu glauben, dass ein Abwärtstrend endet, nur, weil man das will, während ein Aufwärtstrend immer weiterläuft, und das auch nur, weil man das will.
Die hier im Verlauf des Beitrags eingebauten Chart zeigen zwar nicht Kursverläufe, die an jeder Ecke lauern. Aber was wir hier sehen, sind Aktien, die in aller Munde und in sehr vielen Depots waren, weil man gerade wegen dieser immensen Trenddynamik nach oben dachte: Da geht nichts schief. Und das gilt ja für Trades auf den Nasdaq 100 oder den Ölpreis genauso. Wir reden nicht von etwas, das vereinzelten Anlegern in seltenen Fällen vielleicht mal passiert, sondern von Fällen, die viele angingen bzw. an der Börse aktuell noch angehen. Deswegen sind „Depotleichen“ ja so häufig.

Fazit: Konsequenz ist nie einfach, aber immer nötig
Aus meiner Sicht sind die grossen „Irrtümer“ an den Börsen, diese Aktien, die scheinbar für immer stiegen und dann am Ende am Boden lagen, die grossen Irrtümer von uns Anlegern in Bezug auf uns selbst.
Mittlerweile drehe ich eine Trading-Position vier-, fünf- oder auch zehnmal, wenn’s denn sein muss. Einfach, weil ich langsam kapiert habe, dass es immer fatal ausgeht, wenn man entweder stur auf irgendetwas setzt, das zwar kommen kann, aber nie muss. Oder wenn man irgendwann keine Lust mehr hat, sich an neue Lagen anzupassen. Meist ist genau dann, wenn man erstmal sagt „nö, jetzt mag ich nicht mehr“ der Punkt erreicht, wo sich das x-fache Drehen eines Trades wirklich gerechnet hätte. Aber falls Sie und ich nicht gar so unterschiedlich sein sollten, darf ich diesen Hinweis als „Beipackzettel“ mitgeben:
Der Eintritt der Wirkung kann verzögert erfolgen. Bei mir waren es schon ein paar Jahrzehnte, bis ich imstande war, nicht nur anderen kritisch über die Schulter zu schauen, sondern auch mich selbst kritisch genug im Spiegel zu betrachten, um die ganz grossen, teuren Irrtümer zu vermeiden. Der Weg zur Konsequenz zieht sich gerne hin. Aber er lohnt sich.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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