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Nachrichten machen Kurse … das ist normal. Je nachdem, ob positive oder negative Nachrichten auf den Tisch kommen, reagieren die Marktteilnehmer entsprechend. Aber derzeit ist es anders herum, die Schlagzeilen und Reaktionen auf die US-Notenbanksitzung sind dafür ein frappierendes Beispiel. Das ist zwar beileibe nichts Neues. Aber vielen Anlegern ist gar nicht bewusst, dass es momentan die Kurse sind, die die Nachrichten „formen“. Und dann wird es gefährlich.
Mittwochabend, 19 Uhr. Ich gehe sofort auf die Internetseite der US-Notenbank und lese im D-Zug-Tempo das Statement der US-Notenbank. Nebenher läuft CNBC, Steve Liesman und andere der dort seit Jahrzehnen agierenden, hervorragenden Experten berichten zeitgleich, was die „Fed“ verkündet hat. Sofort danach sehe ich mir die neuen Projektionen zu Inflation und Wachstum an. Querblick auf die US-Indizes auf dem dritten Monitor: Erst senkrecht rauf, dann beginnt es zu rutschen. Kein Wunder.
Eine halbe Stunde später: „Fed-Chef“ Jerome Powell beginnt seine ausführliche Pressekonferenz. Zuvor haben die Verkäufe direkt nach dem ersten Kurssprung aufgehört, die Kurse pendeln aber ein gutes Stück unter dem Hoch. Powell beginnt mit der vorbereiteten Rede. Was er zu sagen hat, überrascht mich weder, noch reisst es mich vom Hocker. Es rutscht erneut. Klar. Warum sollte man auf diese Aussagen hin auch kaufen.
Doch sechs Minuten nach Beginn von Powells PK ziehen die Kurse auf einmal an. Ich sitze dabei, höre zu: Da war nichts, das auf einmal eine Kaufwelle hätte lostreten können. Es kommt auch weiterhin nichts. Powell beantwortet die Fragen der anwesenden, fast durchwegsehr erfahrenen Journalisten so, wie man es erwarten kann. Keine Überraschung, kein „one more thing“, aus dem Hut gezaubert wie einst Steve Jobs. Aber die Kurse steigen immer weiter, die folgende Grafik, die den Nasdaq 100 an jenem Mittwoch auf 1-Minute-Basis in der Zeit zwischen 18 Uhr und dem Handelsende um 21 Uhr zeigt, bildet das klar ab (das alles fand aus unserer Sicht eine Stunde früher statt als sonst, weil die USA bereits auf Sommerzeit umgestellt haben). Was geht da vor?
Wenn Meldungen dem Kursverhalten angepasst werden, wird es ungut
Für mich war das nichts Neues. Es kommt sogar sehr häufig vor, dass die Bewegungen des Aktienmarkts nach einer Notenbankentscheidung (das schliesst auch EZB-Sitzungen mit ein) nicht dem entsprechen, was man rein rational hätte erwarten können. Doch das ich das weiss, ist nicht von Belang. Wichtig wäre, dass alle Anleger das auch wissen. Aber das tun sie nicht – und genau das macht so etwas brandgefährlich, zumal viele Medien dann etwas äusserst Ungutes tun:
Diejenigen, die das Geschehen kommentieren, schauen sich an, was die Kurse machen und interpretieren das, was die US-Notenbank da entschieden, prognostiziert und kommentiert hat, entsprechend dieser Kursbewegung und nicht anhand dessen, was man wirklich aus der Entscheidung ableiten konnte. Aber wer bitteschön liest denn das offizielle Statement der „Fed“ und die Projektionen? Wer verfolgt denn die Pressekonferenz genau? Der normale Anleger?
Natürlich nicht. Der sieht sich an, was die Kurse machen, liest am nächsten Tag die eine oder andere Schlagzeile und sagt sich: Offenbar war und ist alles bestens, die Hausse kann an der Börse aktuell weitergehen! Weil? Weil beides, Kursbewegung und Berichterstattung, oft nicht dem entspricht, was tatsächlich Sache ist, so wie auch diesmal. Was bedeutet:
Während die Profis sehr genau wissen, wie sich die Lage darstellt, ganz genau wissen, was die „Fed“ tut und denkt und damit ebenso wissen, dass diese Leiter, auf der die Indizes ihre neuen Rekorde erklimmen, keine Sprossen hat, glauben sich die meisten normalen Anleger in einem perfekt bullischen Umfeld, das es gar nicht gibt. Zu solchen medialen Aussagen gleich ein bunter Strauss Beispiele, vorher noch dies:
Man könnte sehen, dass da etwas faul sein könnte … aber kaum jemand schaut hin
Man könnte sehr wohl sehen, dass da irgendetwas seltsam ist. Aber dazu müsste man sich die diesen Beitrag begleitenden Charts ansehen. Und da tut natürlich kaum jemand, denn: Wozu, wenn die Kurse doch steigen!
Täte man es dennoch, könnte man bemerken, dass die Kurse der US-Indizes anfänglich nach dem Statement zwar einen kurzen Hüpfer machten, dann aber drohten, den Anstieg wieder abzugeben (Chart 1 oben mit dem Nasdaq 100 auf 1-Minute-Basis). Man könnte sehen, dass die Renditen am US-Anleihemarkt keineswegs Bewegungen vollzogen, als sei da seitens der „Fed“ gerade das Schlaraffenland ausgerufen worden, wie der vorstehende Chart zeigt. Man würde ebenso feststellen, dass der Goldpreis nicht negativ reagierte, siehe der nachfolgende Chart. Wenn der im Vorfeld so kräftig anstieg, weil Anleger fürchten, dass das mit Wachstum, Zinsen etc. nicht so läuft wie erhofft, hätte er dann nicht fallen müssen, wenn die Notenbank-Entscheidung so gut ausfiel, dass der Aktienmarkt neue Rekorde markiert? Aber was wurde denn da nun wirklich entscheiden bzw. avisiert?
Tatsächlich war die Notenbank-Entscheidung eher ernüchternd
Die Zinsen blieben, wo sie sind, auf dem höchsten Level seit 23 Jahren. Auf Basis der eigenen Einschätzungen sieht das Federal Open Market Committee, das entscheidende Gremium der US-Notenbank, zum Jahresende 2024 einen Leitzins von etwa 4,6 Prozent, daraus liessen sich drei Zinssenkungen um je 0,25 Prozent bis Silvester ableiten, vorausgesetzt, man bleibt bei dieser Sicht der Dinge. Hurra? Nein, denn genau die gleiche Prognose hatte man in der vorherigen Sitzung auch abgegeben, das war also alles, nur nichts Neues. Vor allem sollte man sich einer Sache erinnern: Vor wenigen Monaten hatte man am Anleihemarkt für 2024 sechs (!) Zinsschritte um 0,25 Prozent erwartet, uns jetzt jubelt man angeblich über drei?
Hinzu kam, dass man die Projektion für den Leitzins per Ende 2025 anpasste. Aber nicht nach unten, nein, nach oben! Statt wie bislang 3,6 Prozent, was 2025 vier weitere 0,25 Prozent-Schritte nach unten implizieren würde, sieht man jetzt 3,9 Prozent, also eine Zinssenkung weniger.
Das ist ja nun eher nicht bullisch, zumal man sich mal überlegen sollte, was das hiesse. Jahrelang lag der US-Notenbankzins bei null. Jetzt haben wir 5,25 bis 5,50 Prozent (bei der „Fed“ hat man da immer eine Spanne von 0,25 Prozent). Wenn es von diesem Level in eindreiviertel Jahren auf 3,9 Prozent Zins geht, ist das ja wohl keine hurtige Rückkehr zu billigem Geld, Basis eines neuen Konsumbooms und damit eine Grundlage für neue Rekorde im Hier und Jetzt. Mal davon abgesehen, dass die Kurse ja vorher nicht aufgrund sorgenvoller Verkäufe gefallen wären und jetzt befreit wieder steigen. Sie steigen seit sechs Monaten fast ununterbrochen, von irgendwelcher Erleichterung seitens der Anleger zu reden ist also absurd.
Davon abgesehen hat die „Fed“ auch noch den Level für den langfristig angestrebten Leitzins von zuvor 2,5 auf 2,6 angehoben, was heisst: „Nullzinsen“ und Kredite aus dem Füllhorn wird es, wenn es nach der US-Notenbank geht, vorerst nicht mehr geben. Aber genau das war der Motor des Wachstums früherer Jahre!
Dass die US-Notenbank ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr von bislang 1,4 Prozent, die man im Dezember avisiert hatte, auf 2,1 Prozent anhob, ist zwar grundsätzlich positiv … immerhin etwas. Das aber macht eben auch klar, warum man in Sachen Zinssenkungen so vorsichtig bleibt.
Fazit: Da gab es keinerlei Basis dafür, dass die Kurse wie von der Tarantel gestochen davonzogen, sowieso nicht, wenn man bemerkt hat, dass sie zuerst kaum positiv reagiert hatten. Es ging einfach nur darum zu verhindern, dass die ja auf Basis der Aussagen mögliche Ernüchterung zu Verkäufen führt, die dann imstande wären, in einem so überkauften Markt für markanten Druck über Wochen zu sorgen.
Also packte man die Brechstange aus … und fast niemand hat es realisiert. Aber wenn wir uns ansehen, was da am Abend und am Folgetag über die Medien kam, wundert das eben auch nicht. Vergessen wir nicht: Wenn Sie diesen Beitrag lesen, gehören Sie zu einer ziemlich kleinen Gruppe von Anlegern, die sich aktiv informiert und kümmert. Die anderen schlucken einfach, was man ihnen hinhält, solange es nur dem entspricht, was sie sich wünschen. Zu einigen Beispielen:
Bullische Sprüche und angehobene Kursziele: So hält man die Anleger bei Laune
Ich nenne hier keine Autoren der Aussagen und entnehme sie auch ihren kompletten Sätzen, denn weder ist es mein Ziel noch ergäbe es einen Sinn, an dieser Stelle einen Kreuzzug gegen potenziell irreführend wirkende Formulierungen in den Medien zu beginnen, der wurde schon lange geführt und verloren. Wichtig ist nur, dass so viele Anleger wie möglich erkennen, dass man genauer hinschauen muss. Also, was habe ich da so gefunden?
Powell habe sich zuversichtlich gezeigt, dass der langfristige Inflationstrend abwärts gerichtet sei und hob die positiven Wachstumsdaten der Wirtschaft hervor. Diese Kombination habe für ein Kursfeuerwerk und neue Allzeithochs gesorgt, so ein Statement sinngemäss. Er sagte also, was er seit mehreren Sitzungen immer wieder festhielt. Wieso soll „the same speech as always“ auf einmal alle begeistern?
Die Stimmung werde weiterhin von der Aussicht auf Zinssenkungen im Jahresverlauf befeuert. Die US-Notenbank werde den Leitzins 2024 voraussichtlich insgesamt drei Mal senken, war zu lesen. Dreimal war schon in der vorherigen Sitzung so, dass die Zinsen 2024 wieder zu sinken beginnen, noch länger erwartet worden. Und wie gesagt: Vor einiger Zeit rechneten die Bullen mit bis zu sechs Zinsschritten!
Unter den Anlegern habe es die Sorge gegeben, dass der jüngste Anstieg der Inflationsrate die Notenbank von ihrem Kurs abbringen könne, die Zinsen nicht wie erwartet im Juni zu senken, hiess es woanders. Nun, die Charts der US-Indizes deuten eine solche Sorge im Vorfeld irgendwie nicht an.
Man reagierte mit Käufen auf eine anstehende Zinssenkung, war ebenso zu lesen. Ja. Nur gab es die Erwartung halt vorher auch schon, nur, dass man bis etwa Januar dachte, die erste käme bereits im März und es würden 2024 mehr, als jetzt avisiert wird.
Sie sehen: Da wurde „Nichts“ bullisch verpackt und verkauft, negative Aspekte wie z.B. die Anhebung des voraussichtlichen Leitzinslevels für Ende 2025 hingegen einfach nicht erwähnt.
Und dann kamen auch noch Analysten daher und hoben ihre Kursziele für den marktbreiten US-Index S&P 500 an, so ging z.B. es bei der Société Générale zum Wochenschluss mit dem Kursziel gleich mal von 4.750 auf 5.500 Punkte nach oben.
Vor vier Wochen, als einige noch dachten, das wird noch was mit der ersten US-Zinssenkung im März, lag das durchschnittliche Kursziel des S&P 500 bei 5.100 Punkten. Jetzt liegt es noch höher, aber im vergangenen November, vor gerade einmal vier Monaten, lag es noch bei 4.700!
Schauen Sie genauer hin … in ihrem eigenen Interesse
Die Grafik zeigt, dass die Kursziele immer höher wandern, je höher der Index läuft … auch das ist für erfahrene Anleger absolut nichts Neues. Aber nur, wer abseits bullischer, plakativer Sprüche reflektiert, ob sich neben den Kursen auch etwas in den Rahmenbedingungen und Perspektiven verbessert hat, was immer höher steigende Kursziele zu mehr macht als zu der „Möhre“ der ewigen und risikoarmen Hausse, die man dem Marktteilnehmer von die Nüstern hält, kann einordnen, ob man sich auf solidem Grund bewegt … oder auf Treibsand.
Sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen, erhöht nicht nur die eigene Urteilskraft und erweitert Ihre Möglichkeiten. Es schützt auch vor den in der Börsengeschichte nun einmal sehr zahlreichen, bösen Überraschungen!
Übrigens, wer selbst ebenso gerne lesen will, was da wirklich von der US-Notenbank kam, hier der Link zum Sitzungskalender, über den man die Statements und Projektionen umgehend bei Erscheinen ansehen kann: https://www.federalreserve.gov/monetarypolicy/fomccalendars.htm
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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